Heimatgeschichte über ein Bootsunglück am See
Die Windsbraut vom Tegernsee
Am Ufer des Tegernsees erinnern zwei gotische Kreuze an ein Bootsunglück von 1544. Aber sie markieren auch die Position im See, die die meisten Opfer fordert.
Text: Tatjana Kerschbaumer
Die Hochzeiter sind ausgelassen: Gerade hat sich das Paar in der Egerner Kirche das Ja-Wort gegeben, jetzt wird es Zeit zum Feiern. Braut und Bräutigam steigen mit ihren Gästen in ein flaches, für Tegernseer Bauern typisches Holzboot. Rudernd geht es nach Tegernsee in den Postwirt am Klostertor hinüber. Festmahl und Bier warten.
Es ist weit nach Mitternacht, als sich die Gesellschaft wieder auf den Weg nach Hause macht. Gut, dass das Boot noch fest vertäut am Ufer liegt! Die Rückfahrt nach Egern wird nicht allzu lange dauern. Brautpaar und 12 Gäste klettern hinein. Große Wolken ziehen über den nachtdunklen Himmel. Wird schon nichts Wildes sein, man kennt das hier am See. Sie legen ab.
Doch in Egern kommen die Hochzeiter niemals an. Die Wolken, die Wolken! Ein Sturm bricht los und bringt das Boot zum Kentern. Vielleicht, weil es mit 14 Personen überladen ist; vielleicht, weil es auf ein Felsenriff am Ufer der Point aufläuft. Die Quellen sind sich bei der Unglücksursache nicht mehr ganz einig, immerhin spielte sich die Tragödie schon im Jahr 1544 ab. Fest steht nur: Das Boot sank – und alle 14 Passagiere ertrinken.
Es ist eines der schlimmsten Unglücke am Tegernsee, an das noch heute zwei gotische Tuffsteinkreuze an seinem Ufer erinnern. Eines steht am Egerner Seeufer beim Landungssteg des Überführers, das andere in Tegernsee nahe der Hoffischerei am See. Sie wurden wohl schon kurz nach dem Vorfall errichtet; die Jahreszahl 1544 ist zum Gedenken eingraviert. Selbst die Alliierten konnten ihnen nicht wirklich etwas anhaben: Das Egerner Kreuz bekam beim Einmarsch der Amerikaner zwar einen ordentlichen Panzerwagen-Stoß ab, wurde aber wieder aufgestellt.
Vielleicht nicht nur als Andenken an die ertrunkene Hochzeitsgesellschaft, sondern auch als Warnung. Denn die Kreuze sollen auch den „Tanzplatz der Windsbraut” markieren – also die Position im See, auf der immer wieder heimtückische Böen einfallen und das Wasser zu kurzen, hohen Wellen aufpeitschen, die für Ruderer und Segler lebensgefährlich werden können. Ob für dieses Phänomen mit der “Windsbraut” wirklich ein Wetterdämon verantwortlich ist oder doch nur Naturgewalten regieren – darüber streiten sich bis heute die Tegernseer Schiffer.
Tuffsteinkreuz am Egerner Seeufer beim Landungssteg des Überführers / Foto: Andreas Leder
Auch im Juli 1891 fordert die Windsbraut wieder drei Opfer vor der Point – fast genau an der Stelle des Hochzeits-Unglücks von 1544. Dieses Mal wollen vier Männer von Egern nach Tegernsee übersetzen: Joseph Reitmayer, Hoffotograf von Tegernsee; Max Obermaier, ein Münchner Schauspieler; Xaver Schmid, ein Gastwirtssohn aus Aysing bei Rosenheim – und Xaver Terofal, Gründer und Namensgeber des Schlierseer Bauerntheaters. Blitzschnell zieht ein Gewitter auf und wirft die Männer über Bord. Nur Terofal kann sich mehr als eine halbe Stunde lang an dem gekenterten Kahn festhalten. Als vom herzoglichen Schloss endlich Hilfe kommt, hat nur er überlebt. Reitmayer, Obermaier und Schmid werden tot geborgen.Die Windsbraut kennt weder arm noch reich, weder fromm noch gottlos. Im Lauf der Zeit verschlingt sie nicht nur die glücklichen Hochzeiter und Xaver Terofals Freunde, sondern auch den weltberühmten Operettensänger Fritz Sturmfels aus Leipzig – und eine Gruppe Kirchgänger aus Bad Wiessee, die zur Messe nach Tegernsee rudern wollen. Über die Opfer heißt es in den Quellen oft: „Der See hat sie geholt”. Der See – oder die Windsbraut.
Steckbrief
Heimatgeschichten
erzählt von Tatjana Kerschbaumer
Seeseiten, Herbst 2018.
Kabarettist Stefan Otto
Der Kabarettist Stefan Otto kommt mit seinem Programm "Gmahde Wiesn" an den Tegernsee.