Das Magazin für die Region Tegernsee

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Georg Jennerwein

Der legendäre Wildschütz

Er ist bis heute der vermutlich bekannteste Wilderer aller Zeiten: Georg Jennerwein, auch bekannt als „Girgl“, Wirtshausbruder, Weiberer. Sein Tod in den Bergen zwischen Schliersee und Tegernsee prägt die bayerische Folklore – inklusive Liedgut, Marterln und fragwürdigen Präsenten.

Text: Tatjana Kerschbaumer / Illustration: Mariana Godoy

Jennerwein Tegernsee

Der rechte Fuß war unbekleidet, Schuh und Strümpfe waren ausgezogen und lagen daneben. Die große Zehe war in den Abzugsbügel des Gewehrs geklemmt, dessen Lauf auf das Gesicht gerichtet war. (…) Der Unterkiefer war zerschmettert.“ – So wird Georg Jennerweins Ende in Andreas Aberles Buch „Es war ein Schütz – von Wilderern und Jägern“ beschrieben. Vom 6. bis zum 13. November 1877 lag er in diesem Zustand auf einem Felsvorsprung in 1.100 Metern Höhe, auf einem „Peißenberg“ genannten Ausläufer der Bodenschneid. Bis ihn „Burschen aus Schliersee“ schließlich fanden – tot. Es ist der Anfang einer steilen, posthumen Karriere, die den „Girgl“ zu einer Art „bayerischem Robin Hood“ verklärt.

Georg Jennerwein erblickt am 21. April 1852 in Haid bei Holzkirchen das Licht der Welt. Laut Taufregister ist er der uneheliche Sohn der „Kleingütlerstochter“ Anna Jennerwein und dem Otterfinger „Schmidssohn“ Peter Glas. Seine Jugend verbringt er in der Gegend bei Wolfratshausen, wo er auch das erste Mal wildert. Schließlich nimmt Jennerwein eine Stellung als Holzknecht in Westenhofen bei Schliersee an; gesichert ist auch, dass er im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 dient. Ansonsten wird er in verschiedenen Quellen als „schneidig und mutig“ bezeichnet, er kann gut tanzen, singen, schuhplatteln und Zither spielen – und punktet mit seinen grauen Augen und einem „verwegen schiefsitzenden Schneidezahn“ auch bei der Damenwelt.

Zumindest zwei Beziehungen Jennerweins sind überliefert: Er bandelt einerseits mit Bedienung „Rosl“ im Gasthaus Hennerer an. Andererseits mit Agathe, genannt „Agerl“, Sennerin auf der Baumgartenalm am Tegernsee, die ihm der Überlieferung nach eine Tochter schenkt. Diese heißt ebenfalls „Rosl“ – vielleicht benannt nach seiner zweiten Angebeteten. Und natürlich, nicht zu vergessen: Jennerwein wildert. Was angeblich „…jeder wusste. Aber beweisen konnte es ihm keiner.“

Agerl, Girgl, Pföderl

Zurück zu Agerl, Jennerweins Auserwählter von der Baumgartenalm. Der Wildschütz hat Pech: Er ist nicht der Einzige, der sich für die Sennerin interessiert. Bevor sie den „Girgl“ kennenlernt, ist sie der Geschichte nach die Freundin von Johann Josef Pföderl, der damals noch als Fuhrknecht in Reichersbeuern arbeitet. Über Pföderl lernen sich Jennerwein und „Agerl“ kennen, verlieben sich – und Pföderl, der nicht der Fescheste ist, bleibt auf der Strecke. Das verzeiht er Jennerwein nie: Als Pföderl Reichersbeuern verlässt und in Enterrottach als Jagdgehilfe anfängt, soll er sich geschworen haben, Jennerwein zu erschießen – falls er den Wildschütz in seinem Revier antrifft.

Was jeder wusste, aber keiner beweisen konnte: Jennerwein wildert.
Foto: Martin Becker

Am Leonharditag 1877 ist es soweit. Jennerwein steigt vermutlich schon vor Tagesanbruch in den Bergen zwischen Schliersee und Tegernsee auf und wartet in einem Graben des Schwarzenholzecks auf Gämsen. Der genaue Hergang von Jennerweins Tod ist nicht belegt, es gibt aber eine These, wie er sich zugetragen haben soll: Jagdgehilfe Pföderl, ebenfalls im Revier unterwegs, nähert sich und erschreckt Jennerwein, der aufspringt und sich umdreht. Pföderl schießt ihn – mit oder ohne Absicht – in den Rücken. Pföderl läuft zunächst weg und soll „nach einem Gespräch mit Forstwart Mayr, dessen Inhalt nie bekannt wurde“ zurückgekommen sein und Jennerwein mindestens einmal in den Kopf geschossen haben – um einen Selbstmord vorzutäuschen.

Vor Gericht gesteht Pföderl nie, laut Aufzeichnungen des Heimatforschers Schorsch Kirner soll er aber einem Jäger, der insgesamt drei Schüsse hörte, gesagt haben: „I hab’ den Jennerwein erschossen. Der hat es schon lange verdient, der Lump. Mei Agerl hod er mia ausg’spannt und unter großem Spott hod er mia an Gamsbart unter d’Nosn g’halten und g’sogt: Solch scheene Bleamal blüh’n bei eich im Garten, aber brocka tua’s i!“

Sympathie für den Wilderer, Ablehnung für den Täter

Johann Josef Pföderl wird zwar vom Vorwurf des Mordes freigesprochen, erhält am Schwurgericht von Oberbayern aber eine achtmonatige Gefängnisstrafe wegen „Vergehens der Körperverletzung“. Danach arbeitet er wieder als Jagdgehilfe, allerdings in der Valepp im Spitzinggebiet. Die Menschen meiden ihn, er beginnt zu trinken – und stirbt am 12. Juli 1889 im Krankenhaus in Tegernsee.

Für den Wildschütz Jennerwein, der jung sein Leben verlor, hegt das Volk weitaus mehr Sympathien. Bereits kurz nach seinem Tod dichten Unbekannte das „Jennerwein-Lied“, dessen Strophen Jennerwein huldigen und Jagdgehilfe Pföderl in schlechtem Licht erscheinen lassen.

Ein Auszug:

Es war ein Schütz
in seinen besten Jahren,
der wurde weggeputzt
von dieser Erd.
Man fand ihn erst
am neunten Tage,
bei Tegernsee am Peissenberg. (…)
Du feiger Jäger,
das ist eine Schande
und bringt dir g’wiß
kein Ehrenkreuz.
Er fiel ja nicht
im offnen Kampfe,
der Schuß von hinten
her beweist’s.

Offiziell ist Georg Jennerwein auf dem Westenhofener Friedhof in Schliersee bestattet, wobei das Grabkreuz einmal versetzt wurde und unklar ist, was mit Jennerweins sterblichen Überresten geschehen ist. Diese Unstimmigkeiten machen den „Girgl“ nicht weniger populär: In ganz Bayern gibt es Schützenvereine, Gastwirtschaften und Geschäfte, die nach ihm benannt sind. Am Grat zwischen Wasserspitz und Rinnerspitz erinnert ein Marterl an ihn, und zu seinem 99. Todestag bekam Jennerwein von unbekannter Hand ein ganz besonderes Geschenk spendiert. Eine gewilderte Gams hing an seinem Schlierseer Grabkreuz, gemeinsam mit der Botschaft: „Zum 100. werd’s a Jaga!“ Es war die Drohung, ein Jahr später würde ein toter Jäger Jennerweins Ruhestätte zieren. Sie hat sich nie bewahrheitet.

Hinter der Geschichte

WAS: Jennerwein-Marterl am Grat zwischen Wasserspitz und Rinnerspitz
DATIERUNG: 1977
HINKOMMEN: Bei Kalkofen in Rottach-Egern/Enterrottach über die Brücke weiter nach Kühzagl bis zur kleinen Kapelle. Von dort aus auf der Almstraße Richtung Bodenschneid, vorbei an der Kühzagl-Alm Richtung Bodenschneidhaus bis zur Rainer-Alm. Gegenüber der Alm am Kamm entlang zur Wasserspitz. Übergang zur Rinnerspitz, Abstieg zum Jennerwein-Marterl, das sich rechts vom Pfad an einem Baum befindet. Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erforderlich!
INFO: Das Marterl befindet sich an einer nahe gelegenen, aber nicht der exakten Stelle, an der Georg Jennerwein erschossen wurde.

Heimatgeschichten
erzählt von Tatjana Kerschbaumer

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