Höhentraining im Hypoxicum

Herr der dünnen Lüfte

Die Berge rund um den Tegernsee kann fast jeder erwandern. Schwieriger wird’s, wenn es höher hinaus gehen soll, sagen wir auf einen Achttausender. Für die hohen Gipfel kann man sich aber auch am Tegernsee akklimatisieren: im Hypoxicum von Flavio Mannhardt.

Text: Ute Watzl

Flavio Mannhardt Hypoxicum Höhentraining

Flavio Mannhardt zieht es zurück in die Tegernseer Heimat.
Foto: Urs Golling

Ich sitze auf 4000 Metern über dem Meer bequem auf einem Sofa und atme Höhenluft. Simulierte Höhenluft auf simulierten 4000 Metern, die mir ein brummender Generator durch Schlauch und Maske vorm Mund ser-viert. Ich darf nicht sprechen, das würde das Luftgemisch in der Maske verändern. Nur 13 Prozent Sauerstoff enthält es, nur so viel eben, wie ich wegen des geringen Luftdrucks au f 4000 Metern Höhe einatmen würde.

Vor mir sitzt Flavio Mannhardt auf den wirklichen 500 Metern und atmet – ganz ohne Schlauch – Luft mit den üblichen 21 Prozent Sauerstoff. Dabei doziert er routiniert über kontrollierte Hypoxie, also die Sauerstoff-Unterversorgung unter fachlicher Aufsicht. Sie setzt dem Körper gewisse Reize, an die er sich nach und nach anpasst. So funktioniert Akklimatisierung, fast wie Muskeltraining.

Ort des Geschehens ist das Hypoxicum, dessen Münchner Stammsitz Flavio Mannhardt 2018 von seiner ehemaligen Chefin übernommen hat. Als studierter Sportwissenschaftler, geboren und aufgewachsen in Rottach-Egern am Tegernsee, hatte er dort zu arbeiten begonnen. Wenige Monate später schon, Anfang 2019, gründete er im Ärztehaus Medicum in Rottach die Tegernseer Filiale. Und das hatte einen einfachen Grund: Flavio Mannhardt möchte wieder zurück in die Heimat, Hypoxicum Tegernsee ist sein Sprungbrett zurück ins Tal. „Nach über zehn Jahren in München will ich endlich wieder heim“, sagt der 30-Jährige. Endlich wieder auf dem Tegernseer Höhenweg joggen, statt in der Stadt bei jeder Ampel warten zu müssen und sich den Park mit tausend anderen zu teilen. „Das bin ich nicht“, sagt Mannhardt. „Ich bin ein Naturkind.“

Heute wollen die Leute nach ein paar Tagen auf dem Gipfel des Kilimandscharo stehen

Er hängt sehr an seiner Heimat – und an den Bergen hier. Die Liebe zum Bergsteigen hat ihm einst sein Großvater mitgegeben: Sepp Mannhardt, Bruder des berühmten Nanga-Parbat-Bezwingers Anderl Mannhardt. Der Großvater hat seinem Enkel all die stillen Wanderungen durch die heimischen Berge gezeigt, die die Münchner Tagestouristen nicht kennen – und er hat ihm von den Höhentrainings erzählt, die Höhenbergsteiger vor großen Expeditionen absolvierten.

„Früher hieß Bergsteigen: Erst einmal drei oder vier Wochen auf einer hohen Höhe akklimatisieren, bevor der Aufstieg zum Gipfel begann“, so Mannhardt. So viel Zeit haben wir nicht mehr. Modernes Reisen ist anders: Heute wird die Besteigung des Kilimandscharo (5895 m) beispielsweise in vier, fünf Tagen erledigt.

Egal ob Profi, Freizeitsportler oder Tourist – dazu sollte man unbedingt vorakklimatisiert sein. Genau dafür gibt es das Hypoxicum von Flavio Mannhardt. Er hilft seinen Kunden, ihre Höhentauglichkeit zu trai- nieren, nachdem er herausgefunden hat, ob und wie gut sie die Höhe vertragen. Das möchte ich jetzt auch.

Höhentraining hypoxicum

Für die Besteigung des Kilimandscharo empfiehlt Mannhardt ein Pulsoximeter, das den Blutsauerstoff misst.
Foto: Ute Watzl

25 Minuten muss ich mit der Maske auf dem Sofa verharren. Mannhardt hat mir noch kurz Blutdruck gemessen, der mir signalisierte: Ich war etwas aufgeregt. Vielleicht, weil ich schon wusste, dass ich es nun endlich schwarz auf weiß und mit Stempel bekommen würde: Ich vertrage die Höhe schlecht. Ich habe es schon oft gespürt, in Bolivien, wo man am Flughafen El Alto in La Paz bereits auf 4000 Metern landet. Oder im Annapurna-Gebirge in Nepal, wo ich schlecht schlief, Kopfschmerzen hatte. Aber auch in den Alpen, wenn auf 2500 Metern meine Leistungsfähigkeit im Vergleich mit anderen deutlich nachlässt. Ich weiß also ungefähr, was mich erwartet.

25 Minuten können ganz schön lang sein

Der Generator brummt und Mannhardt redet weiter, um mich zu unterhalten. 25 Minuten können lang werden. Wer kann heute noch so lange stillsitzen und nichts tun außer atmen? Mit einem Sauerstoffwert von üblichen 98 Prozent im Blut habe ich mich auf dieses Sofa gesetzt. 75 Prozent sind die kritische Grenze, erzählt Mannhardt.

Wer diese am Berg unterschreitet, würde in kürzester Zeit akut höhenkrank werden mit Symptomen wie Kopfschmerz, Schwindel, Magen-Darm-Beschwerden, Nasenbluten oder Koordinationsproblemen. Dann heißt es: pausieren und, wenn es nicht besser wird, absteigen. Andernfalls drohen lebensgefährli- che Hirn- und Lungenödeme.

Wer also den Kilimandscharo besteigen, die Reise auch wirklich genießen können und vor allem den Gipfel erreichen möchte, der sollte vorher wissen: Wie reagiert mein Körper auf Höhenluft? Und was kann ich machen, um ihn optimal auf die Reise vorzubereiten? Mannhardt beobachtet häufig einen Denkfehler. „Oft sagen Kunden: ‚Ich bin topfit. Was soll mir da die Höhe ausmachen?‘ Aber Fitness und Höhenverträglichkeit muss man ganz klar trennen.

Höhentauglichkeit ist genetisch veranlagt.“ Da gibt es auch die ganz Sensiblen, denen schon beim Skifahren über 2000 Metern schummrig wird. „Ab 4000 Metern merkt es eigentlich jeder“, sagt Mannhardt. Dann ist es gut, die eigene Sauerstoffsättigung im Blut messen zu können, als Entscheidungshilfe am Berg. Leider machten sich viele, die einen leichten 6000er wie den Kilimandscharo besteigen wollen, keine Gedanken, ob und wie sie da überhaupt hochkommen, erzählt er. “Sie verlassen sich auf den Reiseveranstalter. Nach dem Motto: Der wird mich da schon hochbringen.”

Informative 25 Minuten mit Höhenluft sind vorüber. Die Maske wird abgenommen. Körperlich spüre ich keinen Unterschied. Doch mein erster Satz kommt mir nicht fehlerfrei über die Lippen: „Spannend, was Sie da interessieren, äh … was Sie da erzählen.“ Habe ich tatsächlich zu wenig Sauerstoff im Hirn? Die Messung zeigt zwar schon wieder Normwerte, aber der Zustand kann bis zu drei Stunden anhalten.

Es folgt Teil zwei des Kombinationstrainings, das die Universität Innsbruck entwickelt hat. Mannhardt begleitet mich in einen der drei Höhenräume des Hypoxicum, ausgestattet mit Laufbändern, Ergometern und anderen Fitnessgeräten. Sensoren messen permanent Sauerstoff und Stickstoffgehalt der Luft, ein großer Generator drei Räume weiter bereitet das passende Gasgemisch für die gewünschte Höhensimulation.

„Bitte die Tür schnell wieder schließen“, werde ich angewiesen. Mit einem Schritt stehe ich unvermittelt auf luftigen 2500 Metern und spüre – nichts. Das ändert sich gleich auf dem Laufband.

Topfit, dank vieler roter Blutkörperchen

Erste Stufe: drei Prozent Steigung bei 3,5 km/h. Flavio Mannhardt erzählt, dass er regelmäßig bei seinem Schwager im Wallis auf die Berge steigt. Seit er im Hypoxicum arbeitet, ist er berufsbedingt dauerhaft höhenakklimatisiert. „Ich hatte früher auch immer Probleme mit der Höhe. Seit ich mit den Kunden mehrere Stunden täglich in der Höhenkammer bin, nicht mehr“, lacht er.

Und eigentlich ist er immer topfit, dank der vielen roten Blutkörperchen, die sich durchs Höhentraining bilden. Mit dem Rennrad nach Rom, wo seine Mutter herkommt? Gar kein Problem, auch ohne das frühere Trainingspensum, das er als Sohn der Rottacher Leichtathletik-Legende Johannes Mannhardt absolvierte. Sein Vater war Trainer und Mitbegründer der Leichtathletik-Gemeinschaft Oberland.

Heute ist es Mannhardt Junior, der im Hypoxicum Tegernsee Trailrunner und Skibergsteiger trainiert, ambitionierte Freizeitsportler, aber zum Beispiel auch Tatjana Paller aus der Nationalmannschaft im Skibergsteigen.

Höhentraining Hypoxicum

Auch namhafte Bergsteiger-Profis wie David Göttler sind Mannhardt für seine Hilfe dankbar und senden Grüße aus den Bergen.
Foto: Ute Watzl

Mir wird inzwischen warm. Meine Sauerstoffsättigung ist bereits auf 83 Prozent gesunken. Meine Wahrnehmung fühlt sich seltsam träge an, sie ist nicht mehr ganz so klar. „Mit zwei Wochen Höhentraining würden Sie das nicht mehr spüren“, sagt Mannhardt und hebt die Steigung des Laufbands weiter an. Ich stelle mir vor, wie schön es wäre, einmal nach so einem Höhentraining nach Nepal zu reisen, bis oben gefüllt mit roten Blutkörperchen, dieselbe Reise noch einmal, aber leichtfüßig, klar im Kopf und am Morgen immer ausgeruht, und vielleicht noch tausend Meter höher zu steigen. Einfach, weil ich’s kann.

„Jetzt muss ich Sie noch ein bisschen quälen“, weckt mich mein Höhentrainer aus meiner Träumerei und schickt das Laufband auf zehn Prozent Steigung. Es dauert nicht lang und meine Sauerstoffsättigung misst nur noch 76 Prozent. Grenzwertig. Reden möchte ich jetzt nicht mehr allzu viel während der letzten fünf Minuten. Der Puls ist ok, aber der Atem geht schwer.

Manipuliert man denn seinen Körper nicht, wenn man ihn dieser künstlichen Höhenluft aussetzt und auf diese Weise zu einer Leistungsfähigkeit ermächtigt, zu der er eigentlich nicht in der Lage wäre? Ist das vielleicht schon Doping? Nein, für Flavio Mannhardt ist und bleibt das ein natürlicher Prozess, nichts weiter als ein Training, das auch die Sicherheit am Berg erhöht. „Ohne diese Möglichkeit der Akklimatisierung gäbe es mehr Todesfälle und unangenehme Reiseverläufe in den Bergen.“ Aber klar: Für Puristen ist das nichts.

Ein letztes Mal schraubt sich das vordere Ende des Laufbands in die Höhe auf 13 Prozent Steigung. Mannhardt spricht weiter über guten und schlechten Schlaf in den Bergen, über Melatonin-Bildung einerseits und andererseits den Alarmzustand, in den der Körper durch Sauerstoffmangel versetzt und dadurch am Schlafen gehindert wird.

Ich mache nur noch „Mhmm“ und konzentriere mich auf meine Füße und das Laufband. Mehr geht nicht mehr. Noch 30 Sekunden. Mannhardt liest: 72 Prozent und kommentiert das mit einem „Ziemlich niedrig.“ Er wirkt nun doch etwas besorgt. „Wie geht’s dem Kopf?“

Kaum raus aus dem Höhenluftraum, atme ich zwei, drei Mal tief durch, schon steigt der Wert wieder und Mannhardt wirkt erleichtert. Fünf Minuten dauert es, dann kommt mein Testergebnis: 81 Prozent, und das liegt im ziemlich roten Bereich in der unteren Hälfte der Skala. Eine Höhentauglichkeit, deutlich unter dem Durchschnitt, den Europäer normalerweise aufweisen. Das hatte ich ja erwartet. Aber trotzdem hilft mir dieses Wissen.

Immerhin: Flavio Mannhardt rät mir nicht gänzlich von Touren oberhalb 3000 Metern ab. Sein Fazit lautet: „Planen Sie bei Ihrer nächsten Höhentour zwei Tage mehr ein, um sich auf der Höhe zu akklimatisieren.“

Wer sich auf eine Himalaya- oder Andenreise vorbereiten möchte, kann das im Hypoxicum tun. Entweder vor Ort oder mit einem geliehenen Höhenluft-Generator, mit dem man bequem zuhause beim individuell erstellten Trainingsprogramm Höhenluft inhaliert. Die Hypoxicum-Mitarbeiter betreuen den Kunden wie beim Personal Training.

Kosten: ca. 500 bis 700 Euro für eine 3 bis 5 Wöchige Vorbereitung
Derzeit gibt es im Hypoxicum Tegernsee Höhentrainings Dienstag und Freitag, jeweils 8.00 bis 18.00 Uhr
Hypoxicum Tegernsee, im Ärztehaus Medicum, Tegernseer Straße 100, Rottach-Weissach
www.hypoxicum.de

Höhentraining

Je höher wir gen Himmel steigen, desto dünner wird die Luft und desto größer wird die Belastung für den menschlichen Körper. Der Sauerstoffgehalt in der Luft beträgt in jeder Höhe 20,9%. Durch abnehmenden Luftdruck steht dem Körper auf über 8.000 m aber nur noch ein Drittel dieses Sauerstoffanteils zur Verfügung.
Illustration: panthermedia, Infografik: Thomas Hepp