Tegernseer Kultbier

Helle Begeisterung

Nicht nur in Bayern gilt das Tegernseer Hell als Kult-Getränk: Es steht bauchig-braun in norddeutschen Büdchen, Berliner Spätis und macht sowohl im Freibad als auchauf Partys eine gute Figur. Über ein Bier, das auszog, den Markt zu erobern.

Text: Tatjana Kerschbaumer

Kultbier Tegernseer Hell Seeseiten

Ein Bier und seine Heimat: Das „Tegernseer“ braucht keine Werbung, um bekannt zu sein.
Foto: Urs Golling

Das Tegernseer Hell ist ein echter Jetsetter. Mal genießt es den Ausblick über den Hamburger Hafen, mal den Sonnenuntergang über der Düsseldorfer Rheinpromenade, mal schmiegt es sich in Mailand vertrauensvoll an eine italienische Blondine. Am wohlsten aber fühlt es sich in heimischen Gefilden: kaum ein bayerischer See, an dem sich im Sommer nicht entspannt eine Halbe sonnt.  

Ein Bier kommt rum zeigt auch, aber nicht nur, Instagram. Über 5000 Beiträge tummeln sich dort unter dem Hashtag #tegernseerhell, noch einmal ordentliche 450 sind es unter #tegernseerhelles. Aber auch außerhalb der virtuellen Welt, ob lokal am See oder irgendwo sonst in Deutschland gilt: Wer was auf sich hält, greift gerne zum Tegernseer Hell.  

Es ist ein Bier, das Kultstatus genießt: das bayerische Helle allgemein, das Tegernseer im Besonderen. Tegernseer-Trinker rühmen viele Vorzüge ihres Lieblings. „Ein Bier, mit dem man für alle Lebenslagen gewappnet ist“, „geht auch nach dem dritten noch runter wie Wasser“ und „das beste Tegernseer ist immer das zweite – das erste verdampft“, bekommt man als Antworten, wenn man nach dem geschmacklichen Grund der Markentreue fragt.  

Natürlich gibt es hie und da auch kritischere Stimmen. Etwa, wenn es darum geht, ob das Hell denn nun vom Fass oder aus der Flasche besser schmeckt. Oder wenn sich leidenschaftliche Biertrinker und -tester auf der Website www.bier-index.de austauschen und konstatieren, dass das Tegernseer Hell zwar ein gutes „Sommerbier zum Durstlöschen“ sei – aber doch einen recht „seichten Abgang“ habe.  

Das Urteil der Bier-Sommelière: „Ausgewogen, süffig und gefällig“

Eine, die wirklich wissen muss, wie es um die Qualität des Tegernseer Hell steht, ist Mareike Hasenbeck. Die 34-Jährige aus Aying ist diplomierte Bier-Sommelière und betreibt unter anderem den Bierblog feinerhopfen.com. Sie sagt: „Das Tegernseer Hell ist hochwertig gebraut, Hopfenaroma und Malzigkeit sind sehr ausgewogen. Das macht es so süffig und gefällig.“  

Müsste Hasenbeck das perfekte Helle definieren, täte sie das so: „Ein Helles muss im Glas goldgelb und klar erscheinen, einen schönen, weißen Schaum und moderate bis starke Kohlensäure haben. Außerdem ist die Balance zwischen Hopfen und Malz wichtig – das Hopfenaroma sollte eher zart durchkommen, das Malz kann etwas kräftiger sein.“ So gesehen ist das Tegernseer Hell ihrer Meinung nach „ein Bier ohne Fehler“ – was durchaus eine Leistung ist, denn: „Ein gutes Helles ist megaschwierig zu brauen.“ 

Kultbier Tegernseer Hell

Tegernsee – “Das ist ein Sehnsuchtsort der Deutschen, der für bayerische Schönheit und Werte steht.” Walter König, Geschäftsführer des Bayerischen Brauerbunds
Foto: Kristian Laban

Ein Helles ohne Fehl und Tadel also. Davon gibt es in Bayern allerdings einige, nicht nur das Tegernseer. Und weil der Markt für Helles boomt, während der allgemeine Bierkonsum der Deutschen eher schwächelt, ziehen sogar nicht-bayerische Brauereien nach. Auch aus Niedersachsen, dem Münsterland oder Nordrhein-Westfalen kommen mittlerweile helle Biere; manchmal als „Kellerbier“ oder „Landbier“ gekennzeichnet, was meist nur bedeutet, dass das Helle unfiltriert ist.   

Das Tegernseer profitiert also nicht nur von seiner puren Existenz und seinem Geschmack, sondern vor allem von seinem guten Ruf, der in ganz Deutschland fast zum Hype geworden ist. Nur: Wie ist es eigentlich dazu gekommen? 

Der Bier-Boom-beginnt in Berlin 

„Guerillamäßig ging es los“, erklärt Walter König, Geschäftsführer des Bayerischen Brauerbunds. Dass das Tegernseer Hell bundesweit so bekannt und beliebt wurde, hat es vor allem einem Berliner Bierverleger und -verrückten zu verdanken. „Dieser Getränkehändler ist regelmäßig mit seinem VW-Bus nach Bayern gefahren, hat ihn mit bayerischen Hellen vollgeladen und diese Biere dann bei sich verkauft“, sagt König.  

Irgendwann sei das Brauereien wie Tegernseer und Augustiner aufgefallen. Sie boten dem Berliner Bierbeseelten an: „Du musst nicht selbst kommen, wir können auch liefern.“ Den endgültigen Durchbruch hatte das Tegernseer, als es seinen Platz in den Berliner Späti-Regalen bezog. „In Berlin kauft man sich keinen Kasten, sondern geht für ein, zwei Flaschen in den Späti“, sagt König. „Dann drehte der Markt dort hoch.“ Und von Deutschlands Hauptstadt, die vielen als Zentrum des Hipstertums gilt, war es nur noch ein Katzensprung in andere Städte und Regionen. „In Hamburg und im Ruhrgebiet lief es genauso.“ 

Das Tegernseer braucht keine Marketing-Millionen 

Andererseits: Warum sollte ein Berliner, Hamburger oder Düsseldorfer denn nun ein Bier trinken, das er bis dato gar nicht kannte – und das auch noch mit weiß-blauer Fahne auf dem Etikett daherkommt? Schließlich pflegen nicht alle Deutschen nördlich des Weißwurstäquators ein besonders inniges Verhältnis zu Bayern.  

Experimentierfreude könnte eine Erklärung sein, der überzeugende Geschmack eine andere; Nummer drei ist laut Walter König: der Retro-Boom. „Das Etikett ist sehr reduziert, die Brauerei hat es noch nie verändert. Alles, was in den 80ern und 90ern in war – Goldpapier über dem Kronkorken und jede Menge Schnörkel – will der Konsument jetzt nicht mehr.“ 

Oder, wie es der Werber Stefan Kolle schon vor Jahren einmal formulierte: „Eine komplett undesignte Flasche erzählt vom idyllischen Bayern und einer kleinen Brauerei. Das sind Heile-Welt-Bilder, die ein Krombacher für viele Millionen in die Köpfe hämmern muss.“ Soll heißen: Das Tegernseer Hell braucht nicht einmal Werbung. Macht es auch nicht. „Ich trink’ kein Fernsehbier, sondern was Cooles, Bayerisches“ sei durchaus ein Argument, sagt auch Mareike Hasenbeck. Und allein durch seinen Namen genießt das Tegernseer Hell enorme Rückendeckung. Selbst Nordlichter, die sich in Bayern hinten und vorne nicht auskennen, haben in der Regel schon einmal vom Tegernsee gehört. „Das ist ein Sehnsuchtsort der Deutschen, der für bayerische Schönheit und Werte steht“, glaubt König und fügt an: „Über diese Assoziationen ergibt sich natürlich ein Marktvorteil für das Tegernseer.“ 

 

„Das Etikett ist sehr reduziert, die Brauerei hat es noch nie verändert.”
Foto: Kristian Laban

Von einem See im (Marken-)Namen wollen auch andere profitieren 

Den gedenkt das Brauhaus Tegernsee durchaus zu verteidigen. Dass Augustiner als zweite Kult-Brauerei Bayerns gut auf dem Markt unterwegs ist – sei’s drum. Aber wenn kleinere Konkurrenten plötzlich ebenfalls Biere mit „See-Bezug“ im Namen auf den Markt bringen, reagiert man empfindlicher. Zumal es dabei nicht nur um den See im Namen, sondern auch um offenbar gewollte optische Ähnlichkeiten gehe. 

Es sei durchaus verständlich, dass das Tegernseer Brauhaus schon mal gegen Mitbewerber geklagt habe, sagt Walter König – sogar das Etikett habe dem des Tegernseer Hell doch verblüffend ähnlich gesehen. Seitdem das Tegernseer Hell gemeinsam mit dem Münchner Augustiner den Kult zum urigen, bayerischen Retro-Bier begründet hat, gibt es Dutzende Brauereien, die auf denselben Zug aufspringen: Mit bauchiger, brauner Euro- statt hoher NRW-Flasche und Etiketten-Designs aus den 50er Jahren, die teils mühsam aus den Archiven wieder ausgegraben werden.  

Alles abgekupfert also, zulasten des Tegernseer? Nicht wirklich, sagt König: „Es gab sehr schnell sehr viele Nachahmer, aber der Markt war groß genug – und ist es noch immer. Besonders am Anfang hätten Tegernseer und Augustiner alleine den Markt gar nicht bedienen können“. So dringlich war plötzlich die Nachfrage nach zünftigem Hellen im Stile eines Tegernseers. 

Das Helle ist eine Erfindung der Neuzeit

Die Mönche, die schon vor Jahrhunderten im Tegernseer Kloster Bier brauten, hatten mit dem heute so populären Tegernseer Hell übrigens nichts am Hut. „Was das damals war, weiß wohl keiner so genau“, sagt Mareike Hasenbeck. „Vermutlich waren aber die meisten Biere früher eher dunkel und obergärig“.  

Überhaupt ist das Helle, das heute als Inbegriff der bayerischen Braukunst gilt, ein eher junger Hüpfer. Die normale Bevölkerung war lange an Braunbier gewöhnt, für die oberen Zehntausend durfte es auch mal ein kühles, erfrischendes Weißbier sein. 

Wie dem auch sei: Die Brauerei hält sich mit ihrem Nicht-Marketing weiter an die bewährte Linie. Sucht man nach den üblichen Zutaten solchen Marketings, Webseiten, Social-Media-Präsenzen oder auch nur einfach klassischer Werbung, findet man – genau, nichts. Kein großes Wunder, schließlich ist das „Tegernseer“ schon lange in den Status einer „Kult-Marke“ erhoben worden. Und der würde man mit nichts mehr schaden als mit Werbung. 

Historie 

Eine fast tausendjährige Biertradition – darauf beruft sich das Herzoglich Bayerische Brauhaus Tegernsee. Schon um das Jahr 1050 sollen Mönche im Kloster Tegernsee Bier gebraut haben; entgegen aller Legenden weniger für den Eigenkonsum, sondern für Gäste der Klosterherberge und die Untertanen des Klosters.  

Kleine Lücke der langen Biergeschichte: Als Herzog Maximilian der I. 1604 alle Brauereien in Bayern erfassen lässt, fehlt Tegernsee auf der Liste. 1675 holt der damalige Abt die Braurechte gesichert nach Tegernsee, angeblich auf Anraten seines Cellerars. Die Brauerei, so wird vermutet, sollte die Bau­kosten­ am­ Kloster ­mit finanzieren.­  

Nach­ der­ ­Säkularisation­ kauft der erste bayerische König Max I. Joseph das Klosterareal und lässt es zur Sommerresidenz ausbauen. Die Brauerei ist bis heute in Wittelsbacher Familienbesitz, aktuelle­ Chefin­ ist­ Herzogin­ Anna­ in­ Bayern.

  • Was tun Sie gerade, …?

    Die Keramikerin Monika Ulbrichtbetreibt die gleichnamige Werkstatt am Tegernsee in vierter Generation.