Wandern mit dem Heimatführer
Unterwegs in Rudis Bergen
Früher trieb ihn die Leidenschaft immer wieder mit Steigeisen in die Gletscherwelt der Viertausender. Er hat sein Tourenbuch mit Unmengen Dreitausendern gefüllt. Heute, mit 64 Jahren, begleitet Rudi Hauptvogel als Heimatführer die Gäste rund um den Tegernsee, am allerliebsten aber immer noch in die Berge.
Text: Ute Watzl
Bergliebe: Mit Rudi entdecken die Gäste auch stille Routen.
Foto: Ute Watzl
Den „Alpenrudi“ bringt in den Bergen nur wenig aus der Balance. Aber das hat ihn dann doch geschockt: „Allein das Ötztal hat über 300 Dreitausender!“ Dagegen nehmen sich seine eigenen 250 Dreitausender im Tourenbuch fast mager aus. Steht man mit ihm auf dem Wallberg, weiß er sie alle aufzuzählen, die Gipfel, die das Bergpanorama im Föhn präsentiert. Großglockner, Großvenediger, Birkkarspitze, Partenkirchener Dreitorspitze, Hoher Gabler und wie sie alle heißen. In 40 Jahren Bergsteigerlaufbahn hat er sie alle bestiegen.
Der Alpenrudi, das ist Rudi Hauptvogel aus dem Leitzachtal. Eigentlich Ingenieur für Nachrichtentechnik, hat er 35 Jahre für die Telekom gearbeitet, allein 15 davon am Tegernsee, dem „schönsten Baubezirk Deutschlands“, wie man unter den Telekomarbeitern wusste. Doch dann vor neun Jahren hat die Telekom massiv Stellen abgebaut. Auch seine. Aber Bergsteiger Rudi ist niemand, den man mit 55 in den Ruhestand schickt. Und so ging er unter die Tegernseer Heimatführer, den ersten ihrer Generation, ließ sich vom Alpenverein zum Wanderleiter und vom Deutschen Skiverband zum Schneeschuhguide ausbilden, machte sich als Alpenrudi selbständig – und als solcher schnell einen Namen. Mit Stadtführungen und kleineren Wanderungen rund um den Tegernsee fing es an. Meist führt er Mitarbeiter von Firmen, die am Tegernsee Seminare buchen und bespaßt werden wollen. Heute wird Rudi vorrangig über seine Homepage gebucht, nicht selten für ganze Alpenüberquerungen.
Früher waren Berge sein Sport, heute Genuss
„Mir macht jede Tour Spaß, egal ob ein Berg mit 1200 Metern oder ein Viertausender“, sagt Rudi heute. „Es spielt auch keine Rolle mehr, ob ich auf einen Gipfel hinaufkomme.“ Das war früher anders. Da war jede seiner Besteigungen ein Rennen gegen die Zeit, der Gipfel eher Pflicht als Kür. Heute steht der Genuss im Vordergrund, und die Fotografie. Und so trifft man ihn vielleicht am Boden kriechend in der Wiese am Wegrand, wenn er kleinste Blumen mit Morgentau in den Fokus nimmt. Da hat sich ihm eine neue Welt erschlossen, die ihn begeistert. „Früher war das für mich eine gelbe, blaue oder weiße Blume. Heute weiß ich, wo sie wächst und warum.“
Weiße Liebe: Auch im Winter zieht Rudi mit seinen Gästen in die Berge.
Foto: Christoph Schempershofe
Das Wissen hat sich ihm im Rahmen der Heimatführerausbildung erschlossen. Sogar Moorführer ist er. Rudi zeigt hinab auf die Sutten und sagt: „Dort unten habe ich mich verliebt, in den Fieberklee. Eine wahnsinnig schöne Pflanze, die so klein und unscheinbar daherkommt und nur im Moor wächst. Ein Stern mit weißen Fasern und gelben Pollengefäßen.“ Und wenn der Gast wissen will, wie der Tegernsee und seine Berge entstanden sind, dann packt Rudi sein üppiges Geologiewissen aus. Dann erzählt er ihm vom Inngletscher und von Loisachgletschern, die während der letzten Eiszeit vor 20.000 Jahren hier zu finden waren. Wie sich daraus die Münchner Schotterebene gebildet hat. Wie ein Seitenarm des Inngletschers über den Achensee und Kreuth herüberkam und seine Endmoräne kurz hinter dem heutigen Gut Kaltenbrunn bildete. Kurzum: Der Tegernsee war ein Gletschersee.
All das und noch viel mehr weiß Rudi, der Heimatführer, zu erzählen. „Hier kenn ich jeden Steig und jeden Gipfel, hier kenn ich viele Leute. Das Vertraute, das ist Heimat.“ Und klar tauscht er gern Outdoor-Klamotte gegen Lederhose und Joppe, wenn der Anlass das hergibt. Aber auf dem Waldfest, da wird man ihn nicht antreffen. „Ich mag meine Heimat, die echte. Aber die inszenierte, das ist nicht meins.“
Heimatliebe: Die Berge rund um den Tegernsee sind Rudis Revier.
Foto: Ute Watzl
Wer am Wochenende mit dem Alpenrudi in die Tegernseer Berge geht, kann davon ausgehen, dass er den hochfrequentierten Routen entgeht. Rudi kennt die ruhigen Touren. Vom Setzberg übers Grubereck zum Risserkogel beispielsweise. „Da brauchst gar ned weit gehen und bist trotzdem fast alloa“, sagt er. Auch über den Röthensteiner See in den Kessel unterhalb des Plankensteins hinauf zum Risserkogel verläuft eine seiner liebsten Wanderungen. Und überhaupt: Der Risserkogel gibt so einiges her.
Im Beruf wie am Berg: Rudi hat Führungserfahrung
Rudi lässt sich gern auf seine Gäste ein. Dann zehrt er als Wanderführer, der immer wieder ganze Tage mit Fremden und ganzen Gruppen unterwegs ist, von seinen Erfahrungen als Ressortleiter bei der Telekom. Motivationstraining, Teambuilding, Krisenmanagement – all das kommt ihm zugute. Zu manchen Gästen hat er noch nach Jahren Kontakt, wie jener, den er, damals noch schwer übergewichtig und unsportlich, von der Bergstation auf den Wallberg geführt hat und dann Jahr für Jahr auf schwereren Touren begleitete, bis Rudi auf der langen gemeinsamen Wanderung zum Guffert nur noch knapp mithalten konnte. Sein Stammgast hatte Leben und Ernährung komplett umgestellt und sich wieder fit gemacht. Mit Stolz erzählt der Heimatführer: „Der Wallberg war der Auslöser damals. Rudi, du bist schuld an meiner Verwandlung, hat er gesagt.“ Er hat Alpenrudi dann auch zur Hochzeit eingeladen.
Auch er selbst verdankt den Bergen einiges. Wenn es mal schwierig wurde im Leben, haben sie ihn buchstäblich wieder aus den Tiefen des Tals geholt. Nach der Kündigung zum Beispiel, die ihn aus seinem Beruf riss, den er 35 Jahre mit Leib und Seele gemacht hat. Da hat er in den Bergen die Kraft geschöpft zum Weitermachen. „Wenn ich dann bei Sonnenaufgang am Gipfel stand, habe ich mir gedacht: „Ich möcht‘ jetzt nicht im Büro sitzen!“ Die Berge brachten sein Leben wieder in die Balance.
Wann und wo die nächste Tour mit Rudi Hauptvogel im Tegernseer Tal stattfindet, erfahren Sie unter www.tegernsee.com oder in den Tourist-Informationen rund um den See.
Neue Liebe: Mit der Kamera hat Rudi die Schönheit der Flora entdeckt.
Foto: Rudi Hauptvogel
Seeseiten, Winter 2019.
Viktoria Rebensburg
Die Skifahrerin und Olympiasiegerin Viktoria Rebensburg wird Kolumnistin für die Seeseiten.