Thomas Kellermann

Des Dichters Sternekoch

Tradition und Moderne, Luxus und Bodenständigkeit – was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch klingt, bringt Thomas Kellermann seit vielen Jahren mühelos zusammen. Nach zwei Corona-Jahren und einem Umbau trägt zwar sein Gourment-Restaurant in den „Egerner Höfen“ einen leicht abgewandelten Namen. Dahinter steckt aber immer noch einer der besten Küchenchefs Deutschlands.

Text: Christian Jakubetz

Sternekoch Thomas Kellerman

Der Mann, der den kleinen Unterschied macht: Thomas Kellermann weiß, dass es die Details sind, die aus einer sehr guten Küche eine hervorragende machen.
Foto: Nadine Rupp

Reden wir erstmal über Rote Bete. Das ist, rein naturwissenschaftlich gesehen, ein Fuchsschwanzgewächs. Erhältlich ist es in Gläsern in jedem Supermarkt, man kann sie aber auch frisch kaufen, als Nicht-Konserve sozusagen. Was man als Laie glauben könnte: Rote Bete schmecken immer gleich. Das allerdings ist ein Trugschluss. Für Thomas Kellermann kann Rote Bete den Unterschied zwischen einem guten und einem sehr guten Gericht ausmachen.

Was bitte, Herr Kellermann, ist an der einen Roten Bete anders als an einer anderen? Der Gourmetkoch und Küchenchef der Restaurants „Dichter“ in den „Egerner Höfen“ schmunzelt, holt Luft – und erklärt: Sie kann ein bisschen süßlicher, manchmal aber auch ein bisschen bitter schmecken, je nach „Tagesform“ und Anbauer.

Wenn aber eine Zutat süß oder bitter ist, dann hat das Auswirkun-gen auf das ganze Essen. Man muss kein Sternekoch sein, um das zu verstehen. Man muss um diese Unterschiede aber wissen und man muss sie erschmecken. Und um das zu können, muss man vermutlich mehr auf und in der Pfanne haben, als der Gelegenheitskoch in der heimischen Küche.

Ob man also Perfektionist sein muss, um ein Niveau wie Thomas Kellermann zu erreichen, das sei dahingestellt.

Küchenteam Restaurant Dichter am Tegernsee

Der Teamplayer: Thomas Kellermann bereitet sich mit seiner Mannschaft auf einen neuen, langen Tag vor.
Foto: Nadine Rupp

“Aber ja, bestätigt er, „natürlich geht es auf diesem Niveau um sehr viele Details, die man beachten muss.” Vermeintliche Kleinigkeiten, bei denen es die Summe des Ganzen ausmacht. Die Summe, die dann wiederum zum Unterschied zwischen einer sehr guten Küche und einem Sterne-Restaurant ausmacht.

Klar ist allerdings: Wenn das Produkt nicht stimmt, wird aus dem Rest nichts mehr. Aus Roter Bete mäßiger Qualität macht auch ein Thomas Kellermann keinen Gaumenschmaus. Zumindest keinen, der seinen und auch den Ansprüchen des „Dichter“-Publikums gerecht würde.

Frisch muss es also sein, idealerweise aus der Region. Regional und nachhaltig, das heißt konkret: Als Fisch gibt es gerne mal frisch gefangenen Tegernseer Saibling. Und das Gemüse kommt von Bauern aus dem Umfeld.

Eine große Sammlung von Sternen, Pfannen, Mützen und Punkten

Der 51-jährige Kellermann gehört schon lange zur Riege der Top-Köche. „Sternekoch“ darf er sich seit 2006 nennen, als Küchenchef im Berliner Restaurant Vitrum gab es den ersten Stern. Einen zweiten erkochte er sich 2011 im Restaurant der Burg Wernberg. Der „Guide Michelin“ lobt vor allem „kreative und harmonisch abgestimmte Speisen“.

Und weil solches Können ja selten verborgen bleibt, hat Kellermann auch noch eine ganze Reihe anderer Auszeichnungen, auf die er inzwischen zurückblicken kann, sehr viele Pfannen, Mützen und Punkte. Was wiederum dazu führt, dass der gebürtige Oberbayer sich zu den 50 besten deutschen Köchen zählen darf.

Das hat ein bisschen was mit erwähnter Roter Bete zu tun. Nicht allein wegen der feinen Nuancen, die sie in ihrem Geschmack hat. Sondern deswegen, weil sie symbolhaft dafür steht, was den Koch Kellermann ausmacht. Eine große Liebe zur Tradition, das Nutzen von vielen heimischen „Produkten statt irgendwelcher exotischen Zutaten, dafür steht er wie kaum ein zweiter in Deutschland. Ungewöhnlich darf es schon sein, ausgefallen um jeden Preis aber nicht.

Trotzdem verschließt sich Kellermann neuen Entwicklungen nicht. Dass beispielsweise mehr und mehr vegetarisch gegessen wird, berücksichtigt er und kocht das auch. Nicht aus Zwang, sondern mit Begeisterung.

Sternekoch Thomas Kellermann

Beruf als Berufung: Thomas Kellermann ist mehr „Küchen-CEO“ als Koch.
Foto: Nadine Rupp

Ein Koch auf diesem Niveau, man ahnt es, das ist eher ein Küchenmanager, ein Restaurant-CEO. Weil man in ein Restaurant wie das „Dichter“ nicht einfach zum Zweck der Nahrungsaufnahme geht, sondern das Besondere, den Luxus sucht. Und weil zu einem solchen besonderen Abend mehr gehört als gutes oder sehr gutes Essen, muss Kellermann das Große und Ganze im Auge haben. Das heißt, dass ein Tag im Leben des Küchenchefs schon ab morgens ziemlich durchgetaktet ist.

Auch das Restaurant ist jetzt keine „Stubn“ mehr

Kleiner Einschub: Falls Sie sich wundern, dass hier immer vom „Dichter“ die Rede ist: So heißt die frühere „Dichterstubn“ inzwischen hochoffiziell. Kellermann wollte im Rahmen der Generalsanierung des Hotels auch das Restaurant neugestalten. Das ist ausgesprochen stylish geworden, nur: „Wie eine klassische Stubn sehen wir jetzt einfach nicht mehr aus.” Pragmatische wie nachvollziehbare Lösung: Weg mit der Stubn, es bleibt nur noch der „Dichter“.

In diesem interessanten Spannungsfeld aus Tradition und Moderne begegnet man morgens dem Küchenchef, der „morgens um 10 wissen muss, was abends um 20 Uhr passiert“. Und der deswegen sehr organisiert sein muss: Gerichte festlegen, Einkäufe planen, schauen, ob die Rote Bete (und natürlich alles andere) tatsächlich so ist, wie Kellermann es sich vorstellt. Zum Kundenerlebnis „Wir gehen ins Dichter und machen uns einen besonderen Abend“ gehört dann allerdings noch mehr als das Gericht. Worauf also muss Thomas Kellermann schauen? Auf ungefähr alles:

„Wie ist die erste Ansprache des Gastes, wie wird das Essen präsentiert – und da habe ich beispielsweise vom Wein noch gar nicht gesprochen.“

Gourmetrestaurant Dichter Rottach-Egern

Poltinger Lammrücken mit Bohne und Zitrone.
Foto: Nadine Rupp

Das alles funktioniert nicht ohne ein eingespieltes, verlässliches und ambitioniertes Team. „Das ist wie im Fußball“, sagt Kellermann. Du kannst ein ausgezeichneter Einzelspieler, ein hervorragender Trainer sein, ohne dein Team bist du nichts, das weiß vermutlich jeder Kreisliga-Kicker. Zumal hier, um im Fußball-Bild zu bleiben, nicht Kreisklasse gespielt wird. Sondern Champions League. Den Stern für eine Küche gibt es nicht für den guten Willen, sondern für – ja, was eigentlich? Ist Kochen harte Arbeit, Herr Kellermann?

Er geht an Grenzen und manchmal auch darüber hinaus

Beim Begriff „hart“ zögert Kellermann erstmal: „Es ist wie überall, wenn man seine Berufung zum Beruf macht, man geht an Grenzen und manchmal auch ein bisschen darüber hinaus.“ Soll heißen: Ein einfacher Job ist es natürlich nicht, aber die Anstrengung wird wettgemacht durch den Spaß an der Sache. Zumal es ja nicht nur um Organisation, Vorbereitung, klassisches Handwerk geht. Als Spitzenkoch ist Kreativität gefragt, gibt es allzu oft das Gleiche, wird das anspruchsvolle Publikum schnell mal ein wenig unzufrieden. Immer wieder also mal ausprobieren, auch auf die Gefahr hin, dass man irgendwann mal feststellen muss: Die Idee war doch nicht so großartig; das ist nun mal das Schicksal aller Kreativen.

Aber ja, doch: Natürlich muss man, will man zur Spitze gehören, immer wieder trainieren, falls man das so salopp sagen darf. Manche Handgriffe und Abläufe „muss man hundertmal gemacht haben, dann sitzen sie aber auch in Perfektion.“ Das wiederum hat viel mit dem erwähnten Team zu tun, das hinter dem Teamchef Kellermann steht. Nochmal der Fußball-Vergleich: „Die wollen alle auf diesem Niveau mitspielen, deswegen sind die hier.“

Der private Thomas Kellermann schätzt sowohl zuhause als auch bei seinen eigenen Restaurantbesuchen gutes Essen. Das muss nicht immer Gourmetküche sein: „Ich bin nicht auf der Suche nach Luxus, sondern nach gutem Geschmack.“ Dazu gehört auch, nicht den Verlockungen klassischer Berufskrankheiten zu erliegen. Der Koch Thomas Kellermann wird einfach zum Gast, wenn er irgendwo hingeht. Und als solcher will er einfach nur gut essen, statt sich zu überlegen, wie der Kollege in der Küche das wohl hingebracht hat.

Planen, organisieren, denken – das kann er dann spätestens am nächsten Tag wieder.

Gourmetrestaurant “Dichter”
Aribostraße 19, Rottach-Egern
Mi.–Sa. ab 18.30 Uhr
www.gourmetrestaurant-dichter.de

Topfensuffle mit Rhabarber, Basilikum und salzigen Mandeln.
Foto: Nadine Rupp

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