Filmproduzentin Sonja Scheider

Zwischen Oscar und Stefan, Gmund und New York

Oscar, Emmy, Fernsehpreis: Sachen, die man gewöhnlich nur im Fernsehen sieht. Sonja Scheider war nicht nur bei den großen Galas live dabei – sie hat diese Preise auch alle bekommen. Nur reden mag sie darüber nicht so sehr gerne, im Rampenlicht sieht sie lieber andere.

Text: Christian Jakubetz

Porträt Sonja scheider Seeseiten

Sonja und Oscar: 2015 führte der Weg von Sonja Scheider nach LA. Zurück nach Gmund ging
es dann mit der Trophäe im Gepäck.

Foto: privat

Es wäre vermutlich ein leichtes, Sonja Scheider in eine Schublade zu packen: die Frau von Stefan Scheider, Sie wissen schon, der Fernsehmann mit angeschlossenem Social-Media-Phänomen. Und ebenso wahrscheinlich ist, dass Sonja Scheider dagegen nicht mal protestieren würde. Öffentlichkeit und die dazugehörige Meinung sind der Gmunderin nicht sonderlich wichtig.

Vermutlich ist es nicht ganz einfach, sein eigenes Ding zu machen, wenn man einen omnipräsenten Ehemann an seiner Seite hat. Da wird man schnell in die „Die Frau von …“-Rolle gedrängt. Dass Ehemann Stefan Tag für Tag nach außen präsent ist, stört sie nicht. Im Gegenteil: Mit derselben Wonne, mit der Stefan Scheider vor der Kamera agiert, arbeitet sie hinter den Kulissen.

Grund zum Selbstbewusstsein hat sie genug. Daheim in Gmund findet sich eine beachtliche Sammlung von Preisen und Auszeichnungen. Auch wenn Sonja Scheider das gerne mal abtut: „In keiner anderen Branche werden so viele Preise und Auszeichnungen verliehen“, sagt sie. Auf der Liste der persönlichen Auszeichnungen und der Preise als Mitglieder einer Produktion stehen u.a. der Deutsche Fernsehpreis – und der Oscar (ja, genau der!).

Der Oscar also, man kommt nicht daran vorbei, diese Geschichte ein wenig ausführlicher zu erzählen, auch wenn Sonja Scheider selbst über diesen Preis mit ungefähr so viel Gefühlsaufwallung spricht, als stünde der in jedem dritten Haushalt am Tegernsee. Der Oscar für den besten Dokumentarfilm ging an das Team, das den Film „Citizenfour“ gemacht hat. Der Film behandelt den US-amerikanischen Whistleblower Edward Snowden und die durch ihn aufgedeckte globale Spionageaffäre. Sonja Scheider betreute den Film federführend seitens des co-produzierenden Bayerischen Rundfunks. Und so kommt es, dass seit 2015 eine Gmunderin unter den Oscar-Preisträgerinnen ist.

„Publikumspreise sind die ehrlichsten Preise“

Nebenbei bemerkt: Der Film hat noch so viele andere Preise bekommen, dass es unmöglich ist, sie hier alle aufzuzählen, der Deutsche Filmpreis ist nur einer davon. Man ahnt die Dimension des Erfolgs, wenn man den Deutschen Filmpreis quasi nebenher aufzählen muss.
Bei alledem – mit am meisten freut sich Sonja Scheider, wenn sie einen Publikumspreis erhält. „Das sind die ehrlichsten Preise“, sagt sie. Und sie weiß: Das Publikum ist die letztendlich entscheidende Instanz. Kommt ein Film beim Publikum nicht an, kann sie sich für die lobenden Kommentare hauptberuflicher Kritiker auch nichts kaufen. Von beidem, Lob vom Publikum und Anerkennung der Kritik, hat sie genügend.

Kein Wunder also, dass man auf eine tiefenentspannte und selbstbewusste Frau trifft, wenn man sie im heimischen Gmund besucht. Auf eine, die sich und vor allem anderen nichts beweisen muss. Schon alleine deswegen nicht, weil Sonja Scheider auch in diesem merkwürdigen Corona-Sommer bis zur Halskrause in Arbeit steckt. Große Teile dieser Arbeit sind aktuell von der Zentrale des Bayerischen Rundfunks in Freimann nach Gmund gewandert, die Gründe dafür liegen auf der Hand. Ein wenig klagt Sonja Scheider aktuell über einen zwickenden Rücken. Weil die Scheiders zwar viel daheim haben, einen ergonomisch korrekten Arbeitsplatz allerdings nicht.

Sonja Scheidet Seeseiten tegernsee

Galerie des Schauens: Sonja Scheider vor einem kleinen Ausschnitt von Filmen an denen sie beteiligt war.
Foto: privat

Und so hat Sonja Scheider zumindest eines mit vielen Arbeitnehmern in den letzten Monaten gemein: eine leicht gebeugte Sitzhaltung vor einem Laptop an irgendeinem Tisch, vertieft in diese Video-Calls, die die klassischen Meetings bis auf weiteres ersetzt haben und die man je nach Sichtweise für Fluch oder Segen halten kann. Rückenschonend sind sie jedenfalls mal nicht.

Weniger geworden ist die Arbeit für Sonja Scheider nicht. Wie auch? Dokumentationen und Reportagen, die Formate, die sie vorwiegend betreut, sind auf Mittel- und Langstrecke ausgerichtet. Wer schnell Ergebnisse seiner Arbeit sehen will, ist dort falsch aufgehoben. Manche Projekte „ziehen sich schon mal über zwei oder drei Jahre“, erzählt Sonja Scheider – und spricht dabei aus eigener Erfahrung. Was umgekehrt bedeutet: Das Corona-Thema sorgt natürlich für Einschränkungen und Behinderungen in der aktuellen Arbeit. Langfristig gefährdet sind die Projekte aber nicht.

Ein Job, für den man eine hohe Frustrationstoleranz braucht

Zumindest dadurch nicht. Trotzdem kann es sein, dass aus einem intensiv geplanten und vorbereiteten Projekt nichts wird. Das ist die Tücke solcher langfristigen Formate: Es kommt gar nicht mal selten vor, dass man sich mehrere Monate mit einem neuen Projekt beschäftigt. Nur um dann festzustellen, dass das alles nicht so klappt, wie man es gerne hätte. Nach monatelanger Recherche ein Projekt beenden, an einer Doku jahrelang arbeiten, dafür braucht man eine ausgeprägte Frustrationstoleranz.

Und Ausdauer und Organisationstalent natürlich, auch das. Sonja Scheider ist keine Ausdauer- oder Extremsportlerin, aber auf 3000 Meter hinauf wandern, das bekommt sie schon hin. Wer das kann, dem macht es vermutlich deutlich weniger aus, wenn man telefoniert, recherchiert, lange Gespräche führt, manchmal über Wochen – und man hat noch keine einzige Sekunden Film aufgenommen.

Für das BR-Projekt „24 Stunden Europa“ beispielsweise“ waren 45 Teams im Einsatz. Die Idee dahinter: einen kompletten Tag von 60 jungen Menschen in 26 europäischen Ländern zu beschreiben. Das muss man erstmal koordiniert bekommen. Das geht nicht vom Schreibtisch aus, weder von einem im BR noch vom nicht vorhandenen in Gmund. Wer die Welt beschreiben will, der sollte sie schon mal mit eigenen Augen gesehen haben.

Daheim am Tegernsee, zuhause in der Welt

Und so kommt es, dass die lebenslange Tegernseerin auch eine Welt- oder zumindest Europabürgerin ist. So richtig daheim fühlt sie sich trotzdem nur am Tegernsee, New York hin, Los Angeles her. Hier ist sie geboren, aufgewachsen, immer leben geblieben. Die Weltmetropolen auf der einen, das beschauliche Gmund auf der anderen Seite, das ist für sie kein Widerspruch. Im Gegenteil: „Gmund, das ist immer auch heimkommen“, sagt sie. Erdung, Bodenständigkeit. Und damit auch weit entfernt vom Medien-Business, das gelegentlich genau so ist, wie sich ein Außenstehender diese Branche vielleicht vorstellt.

Sonja Scheider Reinhold Messner

Sonja und Reinhold: Mit BergsteigerLegende Messner hat Sonja Scheider auch schon gearbeitet.
Foto: privat

Apropos Medien-Business: Es ist gar nicht so einfach, die Rolle zu beschreiben, die Sonja Scheider einnimmt. Formal leitet sie beim Bayerischen Rundfunk die Film-Kooperationen zwischen dem BR und dem deutsch-französischen Sender ARTE. Würde man es salopp formulieren, man könnte sagen: Sonja Scheiders Aufgabe ist es, den Laden zusammenzuhalten. Weil zu solchen Großprojekten, wie sie die Gmunderin verantwortet, sehr viel mehr gehört als „nur“ hinter der Kamera zu stehen oder Regie zu führen. In Neudeutsch ließe sich das womöglich am besten als „Head of“ bezeichnen. Nur, dass beim BR und ARTE natürlich niemand jemals „Head of“ sagen könnte, ohne schiefe Blicke zu ernten.

Was also Sonja Scheider jeden Tag macht, kann man sich vermutlich am ehesten anhand von Projekten wie der „24-Stunden-Reihe“ (24 Stunden Jerusalem, 24 Stunden Bayern oder auch 24 Stunden Europa) vorstellen. Um einen Tag innerhalb eines ganzen Kontinents in seiner Vielfalt darzustellen, braucht man enorm viel an Logistik, Koordination, Organisation und Präzision. Und natürlich inhaltliche Ideen. Das alles ist eine gewaltige Herausforderung. Zumal mit dem Bayerischen Rundfunk und ARTE zwei große Sendeanstalten im Spiel sind und deren Größe manchmal auch eine gewisse, sagen wir, Komplexität mit sich bringt.

Dokus sind Projekte, für die man vor allem eines braucht: Ausdauer

Dazu kommt: Dokus, das sind meistens Projekte, bei denen man nicht mit dem Oberflächen-Wissen durchkommt, mit dem man zumindest einen klassischen Drei-Minuten-Beitrag ordentlich über die Runden bringt. In solche Themen muss man sich reinfuchsen. Und vielseitig muss man sein. Kleiner Auszug aus der Themenliste, an der sich Sonja Scheider in den letzten Jahren abgearbeitet hat: der Bergsteiger Reinhold Messner, der Whistleblower Edward Snowden, die Impfdebatte.

Ob es dann am Ende so wird wie man möchte, kann man mit letzter Gewissheit bei solchen Projekten nie sagen. Auch das gehört zum Job: langes Vorbereiten, viel Hintergrundrecherche und mindestens genauso viele Gespräche mit potenziellen Beteiligten, die, wenn es schlecht läuft, dann eben nur nette Gespräche waren.

Das gilt auch für die Lage im Herbst 2020: Auf dem Tisch sind enorm viele neue Projekte. Wenn alles gut geht, klappen sie alle. Wenn nicht, was zumindest realistischer ist, wird von der Liste das eine oder andere wieder gestrichen. Momentan arbeitet Sonja Scheider u.a. an einem Dokumentarfilm von Volker Schlöndorff, einem Portrait des deutsch-französischen Eiskunstlaufpaares Savchenko/Massot, die 2018 bei der WM die Jahrhundertkür gelaufen sind, einer Doku über die Passionsspiele Oberammergau, einer Polit-Doku, die Genozide des 20. und 21. Jahrhunderts analysiert und an einem Porträt über Ennio Morricone.

Das alles bringt es also mit sich, dass Sonja Scheider keine unsichtbare Frau ist, aber dafür eine, die eher im Hintergrund agiert. So sehr, wie Ehemann Stefan in seiner öffentlichen Rolle aufgeht, so zufrieden ist Sonja Scheider, wenn sie ihre Arbeit ohne allzu viel Aufmerksamkeit von außen erledigen kann. „Stefan ist eindeutig die Rampensau von uns beiden“, sagt sie.

Ehemann Stefan, der gerade dazu kommt, weißes Hemd, Anzug, ausgehfertig für einen weiteren Sendetag in den BR-Nachrichten, widerspricht nicht. Eine perfekte Arbeitsteilung. So kommt es, dass man die beiden heimischen Scheider-Katzen deutlich öfter auf Fotos in den sozialen Netzwerken sieht als Frau Scheider. Und daran, so viel ist sicher, wird sich auch in Zukunft nichts ändern.

Wer die bisherigen Arbeiten von Sonja Scheider sehen will, hat hier immer wieder Gelegenheit dazu:
Arte: z.B. dienstags ab 20.15 Uhr – Politik, Geschichte und Gesellschaft; sonntags Abenteuer, sowie in der Mediathek
BR: mittwochs um 22.00 Uhr DokThema und 22.45 Uhr DoX der Dokumentarfilm, sowie in der  Mediathek

Erfolgreiches Team auf dem roten Teppich: Sonja Scheider unter anderem mit Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck und BR-Intendant Ulrich Wilhelm (4. bzw. 3. von rechts) bei der Premiere von „Werk ohne Autor“ 2018 in Venedig.
Foto: Foto: Felix Hörhager

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