Ludwig Klitzsch

Der Möglichmacher

Aus dem gefährdeten Erbe der Eltern eine ganze Unternehmensgruppe gemacht, daneben engagiert für die Heimat und dann auch noch glücklicher Familienvater: Was aufs erste Lesen nach klassischem Plot einer Inga-Lindström-Verfilmung klingt, hat Ludwig Klitzsch zur Realität gemacht. Mit Romankitsch hat diese Geschichte allerdings nichts zu tun. Vielmehr mit zielstrebiger, harter Arbeit. Und mit Mut und Begeisterung für Innovationen. Über einen Mann, der vieles bewegt – und der trotzdem nicht gerne im Mittelpunkt steht.

Text: Christian Jakubetz

Ludwig Klitzsch Kirinus GmbH

Ludwig Klitzsch trat in jungen Jahren an, das Lebenswerk seiner Großeltern und Eltern zu retten.
Foto: Kirinus Kliniken

Reden wir erst mal über nüchterne Fakten. Rund achthundert Menschen arbeiten für die Kirinus GmbH. Sie betreibt Kliniken am Tegernsee und im Großraum München und ist u.a. an einem digitalen „Einhorn“ beteiligt. Dass diese Gruppe in nur 15 Jahren in dieser Form so entstanden ist, hat viel mit dem Mastermind dahinter zu tun.

Allerdings: Vor 15 Jahren war es keineswegs ausgemacht, dass Klitzsch zum Chef seiner eigenen großen Health-Gruppe werden würde. Den Begriff „Konzern“ verwendet er dabei bewusst nicht, im Gegenteil: „Konzern, das steht für vieles, was wir nicht sein wollen. Wir sind ein Familienunternehmen.“ Die Gruppe also, die kein Konzern sein soll, war damals in einem wenig zukunftsträchtigen Zustand. Noch ein paar Jahre mehr – und es wäre womöglich vorbei gewesen.

Für den damals 28-jährigen Ludwig Klitzsch ist die Heimkehr an den Tegernsee nicht unbedingt eine naheliegende Option. Nach dem BWL-Studium in St. Gallen macht er schnell Karriere in großen Konzernen (die diesen Namen für sich auch wirklich voller Stolz in Anspruch nehmen). Die beiden Kliniken am Tegernsee, von den Großeltern gegründet, sind nicht nur geographisch einigermaßen weit weg.

So könnte es auch weitergehen, aber seine Frau Ursula, die er während des Studiums kennenlernt, drängt ihn, sich um den Betrieb zuhause zu kümmern. Denn der ist in einem bedenklichen Zustand.

Die Firma retten – im Fall von Ludwig Klitzsch hat dieser Antrieb auch viel mit seiner Vergangenheit zu tun. Sein Vater stirbt, als er elf Jahre alt ist. Der einzige Sohn der Unternehmerfamilie vom Tegernsee muss zusehen, wie das Lebenswerk seiner Großeltern und Eltern in Gefahr gerät. Klitzsch folgt schließlich dem Rat seiner Frau. 2007 kehrt er an den Tegernsee zurück.

Erstmal alles umbauen

Ludwig Klitzsch wird allerdings auch schnell klar: „Wenn ich das hier mache, dann muss ich einiges verändern.“ Und so beginnt der 28-jährige Firmenerbe mit einem Umbau der Kategorie „Kein Stein bleibt auf dem anderen“. Zwei Häuser umfasst das Familienunternehmen, beide unter der Verwaltung eines Testamentsvollstreckers. Man muss kein Betriebswirt sein, um zu ahnen: Ein solcher „Vollstrecker“ macht alles Mögliche, aber ein Unternehmen entwickeln, nach vorne bringen, das kann er nicht und das ist auch nicht sein Job.

Neuausrichtung, Expansion also. Das jungvermählte Ehepaar Klitzsch legt ein Tempo vor, das so gar nicht zu der beschaulichen Vergangenheit der beiden Kliniken passt. Klitzsch erkämpft sich die Führung des Familienunternehmens gerichtlich, danach wird saniert, dazugekauft. Klitzsch ist kein Mediziner, dafür aber ein Betriebswirt, der weiß, dass man in Zeiten der großen Umbrüche nicht einfach weitermachen kann wie bisher. Vor allem die Digitalisierung treibt ihn um. Klitzsch richtet das Unternehmen auf klare Schwerpunkte aus: Psychosomatik, Innere Medizin und Orthopädie. Innovation ist ihm wichtiger als Größe: „Wir wachsen nicht um jeden Preis“, sagt er.

Fasst man es also zusammen, lassen sich die vergangenen 15 Jahre schnell bilanzieren: Aus zwei in der Existenz be- drohten Kliniken macht Klitzsch eine Gruppe mit 800 Mit- arbeitern, einem Dutzend Häuser – und mittlerweile auch einer Digitalstrategie, die man in dieser Konsequenz eher selten findet. Das Erfolgsgeheimnis? Die Mitarbeiter, sagt er, natürlich. Er ist erkennbar stolz darauf, Menschen um sich zu haben, auf deren Rat er jederzeit vertrauen kann. Seinen eigenen Beitrag zu dieser Geschichte ordnet er da- gegen eher in die Kategorie „nicht der Rede wert“ ein. Der Chef als einer, der die Dinge ermöglicht, andere ermutigt. Understatement oder Überzeugung? Vermutlich eine Mi- schung aus beidem.

Klinik Alpenpark Bad Wiessee

Kernstück der Kirinus Gruppe ist die Klinik „Alpenpark“ in Bad Wiessee.
Foto: Kirinus Health

Der heute 43-jährige selbst lässt keinen Zweifel daran, dass er alles andere als ein klassischer Patriarch ist. Spricht er über sein Unternehmen, dann fallen oft Begriffe wie „Team“ oder „Mitarbeiter“. Konzernkulturen verpönt er. Und Menschen, die brauchen „Raum zur Entfaltung“, glaubt er. Man könnte also Klitzsch vermutlich jederzeit ohne Vorberetung als Referent in ein Seminar über moderne Unternehmensführung stecken.

Auch rein äußerlich sieht man ihm den Macher, den Manager, den Chef einer Gruppe von 800 Mitarbeitern nicht sofort an. Zumindest dann nicht, wenn man bei Unternehmenslenkern an die handelsüblichen Klischees denkt. Das breitbeinige Auftreten des Firmenchefs alter Tage ist so gar nicht seins.

Mit Slim Fit hat er nichts am Hut

Stattdessen: eine gediegen konservative Erscheinung, Janker zum klassischen blauen Businesshemd. Kein Christian-Lindner-artiges Slim Fit, stattdessen eher Einkäufe in einem Tegernseer Laden. Und dass Klitzsch in weißen Sneakern zum Anzug daherkäme, kann man sich auch nicht so recht vorstellen. Tegernseer Tracht statt Berliner Bubble. Mit der Daueraufgeregtheit des digitalen Zeitalters kann er nichts anfangen.

Der latent in ihm ruhende Feingeist kommt stattdessen auch in Kleinigkeiten zum Vorschein. Zum verabredeten Gesprächstermin ist Klitzsch sekundengenau pünktlich, jeder Schweizer wäre beeindruckt. Trotzdem bittet er um eine kurze Pause. „Es war ein langer Tag mit vielen Gesprächen“, sagt er. Kurze Zeit also zur inneren Sammlung, dann Hände an die Teetasse, Konzentration, weiter geht es, So, als hätte der Tag gerade erst begonnen. Klitzsch spricht leise, trotzdem sehr bestimmt. Und nahezu druckreif. Man braucht viel Disziplin, will man arbeiten wie Ludwig Klitzsch.

Klingt das alles nach einem, der sich zurücklehnt und zufrieden auf das Erreichte blickt? Das wäre ein Trugschluss. Schließlich ist Klitzsch nicht einfach ein Verwalter seiner Kirinus GmbH. Unter dem Label „Ideamed“ versammelt erinzwischen eine ganze Reihe von Unternehmen. Die Palette reicht von Tageskliniken bis hin zur eigenen Digital-Unit, mit der er die künftigen Veränderungen im Gesundheitswesen mitgestalten will.

Zwischen Euphorie und Pragmatismus

Und da steht das Thema Digitalisierung weit oben. Ein Thema, das Klitzsch in einer verblüffenden Mischung aus Pragmatismus und Euphorie betrachtet. „Entweder“, glaubt er, „Sie bauen die neue Organisation, die die Digitalisierung bringt. Oder jemand anderes tut es.“ Der Pragmatiker Klitzsch entscheidet sich dafür, es lieber selbst zu tun. Ein bisschen Staunen kann er sich bei diesem Thema dennoch nicht verkneifen. Den Begriff der Digitalisierung, findet er, den dürfe es gar nicht geben. Weil es mittlerweile kaum ein Unternehmen mehr gibt, „das nicht irgendwelche digitalen Aspekte drin hat.“

Zu den digitalen Verhinderern gehört Ludwig Klitzsch also ziemlich sicher nicht: „Ich kann mich bei solchen Themen sehr begeistern, vielleicht sogar zu viel. Mein Management muss mich dann schon mal vor teuren Fehlern schützen.“ Da bricht dann kurz der Euphoriker durch.

Die letzten größeren digitalen Engagements von Klitzsch waren hingegen sicher kein Fehler. Er stieg als Investor beim Terminvermittlungs-Portal „Doctolib“ ein, das vor allem während der Corona-Pandemie auch in Deutschland populär wurde. Komplett übernahm Klitzsch mit sener Unternehmensgruppe das Berliner Coaching-Start-up Vivelia. Das Unternehmen bietet Beratung und Coaching per Videosprechstunde an.

Wenn man den Unternehmer und den Menschen Klitzsch verstehen will, dann hilft es, mit ihm über das Engagement bei Doctolib zu sprechen. Zur Einordnung: Doctolib gilt inzwischen als Einhorn. Einhörner bzw. Unicorns sind Start-ups mit einer Marktbewertung von über einer Milliarde US-Dollar vor dem Börsengang oder einem Exit. Oder noch klarer: Doctolib ist mittlerweile eines der wertvollsten Health-Unternehmen in Europa.

Trotzdem wiegelt Ludwig Klitzsch ab: „Wir sind da nur ein kleiner Investor“, sagt er. Dagegen lobt er Doctolib-Gründer Stanislas Niox-Chateau als „den großartigsten Digital-Unternehmer, den ich kenne“. Sowas macht Klitzsch gerne. Einen Schritt zurücktreten und stattdessen die Bedeutung anderer zu betonen.

Ludwig und Ursula Klitzsch

Ludwig Klitzsch hört gern auf andere Menschen, besonders auf Ehefrau Ursula.
Foto: Kirinus Health

Vorzeige-Familie? Den Begriff würde er vermutlich nicht gerne hören wollen

Neben dem Unternehmer gibt es den Privatmann. Der private Ludwig Klitzsch hält, was das Äußere verspricht. Heimatverbunden, bodenständig, sein Sinn für Extravaganzen ist in jeder Hinsicht überschaubar. Verheiratet mit Studentenliebe Ursula, vier Kinder, sozial und kulturell engagiert. Eine bayerische Vorzeige-Familie, auch wenn Ludwig Klitzsch selbst es vermutlich nie so nennen würde. Oder aber das größte Verdienst an dieser Entwicklung seiner Frau zusprechen würde.

Der Privatmann Klitzsch tritt ebenso als Mäzen auf wie als Tourismusbeirat der Tegernseer Tal Tourismus GmbH. Er hat 7200 Fotoplatten aus den Jahren 1891 bis 1934 des Tegernseer Ateliers Josef Reitmayer gekauft und lässt die Neugestaltung der Alpenpark-Klinik von Architekten-Ikone Matteo Thun vornehmen. Das alles, wie es seine Art ist. Er macht, ohne Aufhebens zu machen. Bei ihm gilt: Leichter getan als gesagt. Bei anderen wäre es eventuell umgekehrt.

Diese Sache mit dem Alpenpark steht ohnehin exemplarisch sowohl für den Menschen als auch den Unternehmer Klitzsch. Für die Modernisierung und Erweiterung holt er sich die Architekten-Ikone Mattheo Thun an Land. Und das aus der Überzeugung heraus, dass jemand wie Thun exakt weiß, was dort zu tun ist. Klitzsch schafft den Rahmen, Thun setzt es um. So laufen die Dinge bei ihm meistens. Was aber nur geht, weil sich Ludwig Klitzsch zurückzunehmen weiß. Wäre er Fußball-Trainer, hätte er vermutlich vor allen anderen den Spruch „Der Star ist die Mannschaft“ in die Welt gesetzt.

Und beinahe wie nebenbei ist er Vorstandsmitglied im Verband der privaten Krankenanstalten in Bayern und erster Vorsitzender des Verbands der psychosomatischen Krankenhäuser und Krankenhausabteilungen in Deutschland. Und außerdem sind noch ein paar Dinge in Planung, die zur Drucklegung dieses Heftes nicht spruchreif waren. Rechnet man das alles zusammen, müsste der Tag von Ludwig Klitzsch ungefähr 29 Stunden haben.

Wie man das alles hinbekommt? Ein leises Lächeln. Er habe halt lauter gute Leute um sich rum. Und überhaupt: „So viel Aufwand, wie Sie meinen, ist das alles gar nicht.“ Ludwig Klitzsch hört gerne auf andere Menschen und vertraut auf ihre Fähig­keiten. Bei der Neugestaltung des Alpen­parks sind das vor allem Architekten­-Ikone Matteo Thun und Ehefrau Ursula.

Wenn das so ist, dann darf man vermuten, dass die (Erfolgs-)Geschichte Ludwig Klitzsch noch lange nicht an ihr Ende gekommen ist.

Einblicke in das Engagement von Ludwig Klitzsch außerhalb der Kirinus-Gesundheitsgruppe liefert auch die Ausstellung der Fotosammlung von Josef Reitmayr. Sie ist auch virtuell zu sehen unter: www.reitmayer-ausstellung.de

Alpenpark Klinik Neugestaltung

Mit der Neugestaltung der Alpenpark Klinik hat Klitzsch Matteo Thun beauftragt.
Foto: Kirinus Health