Helge Augstein und das Musikfest Kreuth

„Alles, nur nicht nochmal 2020!“

Der Höhepunkt des Jahres im Musikleben der Region Tegernsee, die Weltspitze der Kammermusik zu Gast – so wurde es auf der Webseite des Internationalen Musikfests Kreuth 2020 angekündigt. Daraus wurde nichts, wie so vieles anderes fiel auch dieses Festival dem Virus zum Opfer. Trotzdem bleibt sein künstlerischer Leiter, Helge Augstein, optimistisch: Dann eben 2021 wieder!

Interview: Christian Jakubetz

Trotz schwieriger Wochen und abgesagtem Festival guter Dinge: Helge Augstein im (Video-) Interview mit den Seeseiten.
Fotos: privat

Eigentlich sollte im Juli und August das 31. Internationale Musikfest Kreuth am Tegernsee stattfinden, jene Abende, auf die sich Freunde der klassischen Kammermusik und natürlich der Veranstalter gleichermaßen freuen. Stattdessen: Bonjour, Tristesse! Leere Konzerträume und hektische Planungen, wie man künftig weitermachen will. Weil auch ein pragmatischer Optimist wie Helge Augstein weiß: Noch so ein Jahr wie 2020, das würde selbst so ein renommiertes Festival wie das am Tegernsee nicht leicht bewältigen.

Herr Augstein, was überwiegt gerade: Enttäuschung, Trauer, Wut?
Trauer und Enttäuschung, nicht Wut. Man muss sich das vorstellen wie bei einem Sportler, der ein ganzes Jahr auf einen einzigen Termin hintrainiert – und dann feststellt, dass die ganze Mühe umsonst war, weil er nicht antreten kann – das ist hart. Besonders schlimm ist diese Zeit für die Künstler, denen für Monate oft sämtliche Einkünfte wegbrechen.

Wäre es keine Option, das Musikfest einfach, wie beispielsweise die Fußball-Europameisterschaft oder die Olympischen Spiele, um ein Jahr zu verschieben?
Nein, das geht leider nicht. Das hat organisatorische Gründe, aber auch inhaltliche. Wir hatten beispielsweise zwei Beethoven-Konzerte für dieses Jahr eingeplant, was natürlich dem Beethoven-Jahr 2020 geschuldet war. Kann man theoretisch auch 2021 machen, aber das Beethoven-Jahr war nun mal 2020. Davon abgesehen haben wir die Planungen für das kommende Jahr schon sehr weit vorangetrieben und Zusagen gemacht. Viele der diesjährigen Künstler sind 2021 auch gar nicht mehr frei bzw. nicht mehr in diesen Kombinationen möglich.

Susanne Glass und Helge Augstein in Kreuth
Foto: privat

Wie viel Arbeit ist denn jetzt vergeblich gewesen – und wie viel von Ihrer Arbeit können Sie für das kommende Jahr wiederverwerten?
Das kann ich gar nicht beziffern, wir arbeiten hier zu viert an der Organisation des Musikfestes. Und wir arbeiten immer um ein bis zwei Jahre voraus, das heißt, gedanklich und organisatorisch haben wir auch die nächsten zwei Jahre schon im Visier. Selbst wenn wir das Programm für 2020 einfach um ein Jahr verlegen könnten, dann wäre die Arbeit für 2021 weitgehend umsonst gewesen. Also müssen wir das 31. Musikfest 2020 bis auf einige wenige Konzerte, die sich verschieben lassen, schweren Herzens absagen.

Mal angenommen, es wäre erlaubt gewesen das Musikfest durchzuführen, beispielsweise, weil man es nicht als Großveranstaltung gewertet hätte – hätten Sie das dann gemacht?
Das ist natürlich alles hypothetisch, aber ich bitte Sie: Wie soll das denn gehen? Schon alleine die aktuellen Abstandsregeln: Da dürften dann Menschen nur mit eineinhalb Meter Abstand nebeneinander und natürlich auch hintereinander sitzen. Können Sie sich ein schönes und atmosphärisches Konzert unter diesen Umständen vorstellen? Das mag bei Pressekonferenzen kein Problem darstellen, aber bei einem klassischen Konzert geht das nicht. Und es wäre auch finanziell ganz unmöglich, Konzerte für nur 20 Prozent des normalen Publikums durchzuführen.

Woran man ja, wenn auch ungewollt, erst erkennt, wie wichtig für ein Konzert nicht nur die Akteure sind, sondern auch das Publikum.
Ja, unbedingt! Wir sind nun mal soziale Wesen. Wären wir das nicht, könnten wir alle auch einfach zuhause bleiben und jeder hört sich das an, was er gerade will. Ein Konzert wird erst durch Publikum zum Erlebnis, gerade auch für die Künstler, die auf Resonanz angewiesen sind.

Glauben Sie, dass man Musik, Konzerte, Kultur im Allgemeinen nach einer hoffentlich überstandenen Krise wieder mehr wertschätzen wird?
Das ist ein interessanter Aspekt. Ich hoffe und ich glaube: ja. In der Vergangenheit sind enorm viele Sachen zur Selbstverständlichkeit geworden, nicht nur in der Kultur. Wenn wir etwas wollten, haben wir es bekommen. Oder gemacht. Da verliert man schon mal das Gefühl dafür, dass es keineswegs selbstverständlich ist, wenn man mal eben einem Musiker der absoluten Weltklasse live zuhören kann. Wenn wir uns alle dann im Jahr 2021 wiedersehen, werden wir das hoffentlich alle noch mehr zu schätzen wissen.

Ein Konzert wird erst durch Publikum zum Erlebnis.
Illustration: Panthermedia

Die große Renaissance der klassischen Musik?
So würde ich es nicht nennen. Klassik ist keine Massenware. Ein Millionenpublikum haben Sport und vielleicht die Superstars der Pop-Musik. Aber ob groß oder klein, vieles wurde in den letzten Jahren oft nur noch konsumiert. Dabei ist es etwas Besonderes, mit nur wenigen Metern Abstand großen Künstlern zuhören zu können. Dieses Bewusstsein könnte geschärft werden.

Aber es war doch erstaunlich, wie beispielsweise gestreamte Hauskonzerte von Igor Levit bei Twitter jeden Abend Tausende Zuschauer angezogen haben. Vielleicht ist Klassik ja doch nicht so eine Nischensache, wie man meint.
Also, das war wirklich toll, was dort im Internet passiert ist. Das Netz hat bestimmt seine Tücken, aber da war es großartig – und ist nicht auf einen Saal/Abend begrenzt, sondern weltweit verfügbar. Und weil Sie gerade Levit sagen, der hat ja auch schon zweimal bei uns am Tegernsee gespielt. Und die Karten dafür haben ihren Preis. Wenn ich die Gelegenheit habe, einen Musiker seiner Klasse jeden Abend kostenlos zu sehen, dann erstaunt es mich nicht, dass da beachtliche Zuschauerzahlen zustande kommen. Und trotzdem ist es fundamental anders, wenn ich im Konzert sitze. Man darf die Notlösung Streaming oder Twitter nicht mit dem Live-Konzert verwechseln. Das ist wie eine Kochshow sehen im Gegensatz zu Speisen!

Angenommen, 2021 könnte das Internationale Musikfest am Tegernsee ebenfalls nicht stattfinden …
Nein, da denke ich erst gar nicht dran. Da darf ich gar nicht dran denken! Das wäre eine Katastrophe für uns. Ein Jahr kann man mal überstehen. Bei zwei Jahren hintereinander wüsste ich nicht, wie das gehen soll, auch finanziell nicht. Würde es bis dahin keine Konzerte geben, wäre die ganze Branche am Ende, Opernhäuser, Orchester, Festivals und Künstler ruiniert. Aber ich bin zuversichtlich, dass das nicht passieren wird. Das 31. Internationale Musikfest am Tegernsee entfällt aufgrund der Covid-19-Pandemie. Alle Beteiligten sind optimistisch, im Juli 2021 das Musikfestival wieder in gewohnter Weise stattfinden zu lassen.

Zur Person:
Der studierte Jurist Helge Augstein ist seit 1991 im Musikmanagement zuhause. Berufliche Stationen waren die Kölner Philharmonie, große Agenturen und Veranstalter in München, seit 1997 selbständiger Konzertagent. Über das Management von Natalia Gutman (seit 1993) kam er 1999 zum Musikfest nach Kreuth. Seit sechs Jahren ist er dort für das Programm verantwortlich. Die Intimität der kleinen Säle in traumhafter Landschaft und die daraus resultierende Nähe zu großen Künstlerpersönlichkeiten sowie die wundervolle Arbeit in einem großenteils ehrenamtlichen Team sind die Gründe für ihn, sich für das Musikfest zu engagieren und zu begeistern.

  • Herzogin Anna in Bayern

    Herzogin Anna in Bayern ist als Wittelsbacherin Nachfahrin einer Familie, die das Tegernseer Tal so stark geprägt hat wie kaum eine andere.