Gastrotipp "Geschmackssachen"

Bayerische Experimentierfreude

Traditionelles und Veganes, bayerisches und internationales: Christine Stieglbauer bringt Dinge unter einen Hut, von denen man glauben könnte, dass sie überhaupt nicht zusammenpassen. Und das mit Erfolg: Seit rund zehn Jahren ist sie mit ihren „Geschmackssachen“ fester Bestandteil der Gastro-Szene im Tal.

Text: Christian Jakubetz | Fotos: Christina Göbel

Stieglbauer Geschmacksachen Tegernsee

Selbst in einer bayerischen Seele wie der von Christine Stieglbauer können zwei Herzen schlagen.

Das Interessante an Klischees ist ja: Meistens sind sie abgedroschen, aber ein bisschen Wahrheit steckt in jedem von ihnen. Umgekehrt gilt leider auch: Immer, wenn man meint, ein Klischee treffe jetzt mal aber wirklich zu einhundert Prozent zu, kommt irgendwas daher, was das Klischee wieder zerstört.

Im Fall von Christine Stieglbauer ist das so: An sich erfüllt sie fast alle Voraussetzungen, um als ein – im positiven Sinne – Klischee für eine oberbayerische Gastronomin durchzugehen. Dass sie beispielsweise Braten liebt, tief bayerischen Dialekt spricht und zu jeder Sekunde diese Herzlichkeit ausstrahlt, die nur oberbayerische Gastronominnen ausstrahlen können, spricht eindeutig fürs Klischee. Dass sie aber mit Leidenschaft exotische Gerichte ausprobiert und auf der Speisekarte ihrer „Geschmackssachen“ auch mal Veganes steht, stört das Bild, das man sich gerade so schön zurechtgelegt hatte.

Und außerdem stammt die Oberbayerin aus Niederbayern.

Zugegeben, die ganze Bedeutung dieses Satzes erschließt sich vermutlich nur Ober- und Niederbayern; außerdem darf Christine Stieglbauer nach inzwischen 25 Jahren am Tegernsee als Einheimische gelten. In den niederbayerischen Dialekt haben sich jedenfalls schon ein paar oberbayerische Einfärbungen eingeschlichen, was ihr Freundinnen in der alten Heimat Landshut gerne mal süffisant vorhalten. Aber so ist das eben, selbst in einer bayerischen Seele können zwei Herzen schlagen.

Der alte Traum von der Selbstständigkeit

Entstanden sind die „Geschmackssachen“ vor genau zehn Jahren. Zu einer Zeit, in der Christine Stieglbauer erkannte: Wenn sie sich noch mal selbstständig machen will, dann ist jetzt die Gelegenheit dafür. Und selbst wenn das uncharmant klingen mag – auch das richtige Alter. Wenn erst mal die Vier davorsteht, dann … aber lassen wir das. Eine Frage des Alters also, war es das?

Nein, das alleine war es nicht, weil: „Selbstständigkeit war immer mein Traum“, erzählt sie. Aber wie das so ist mit Träumen: Ihre Umsetzung ist in der Realität schwieriger als in der Fantasie, jeder Selbstständige kann ein Lied davon singen. So war das auch bei Christine Stieglbauer: „Ich wäre die Erste gewesen, bei der das anders gewesen wäre.“

Christine Stieglbauer Geschmacksachen Tegernsee

Macherin und Gastronomin in einem: Christine Stieglbauer hat sich mit den „Geschmackssachen“ den Traum von der Selbständigkeit erfüllt.

Überstanden, und das ist das Entscheidende, hat sie die ersten, schwierigen Gründerjahre trotzdem. Und das gar nicht mal so schlecht. Nach sieben Jahren wurde der ursprüngliche Standort zu klein, die „Geschmackssachen“ zogen um von der Bahnhofstraße in die Schwaighofstraße in Tegernsee. Dort ist das sechsköpfige Team noch heute. Der Umzug im Jahr 2017 war dann zudem eine gute Gelegenheit, das Angebot zu erweitern. Seitdem gibt es neben dem Mittagessen und dem Catering auch Frühstück.

Dringend nötig war der Umzug zudem. Zu Beginn waren die „Geschmackssachen“ gerade mal für ein gutes Dutzend Gäste ausgelegt. Und die Küche damals, Christine Stieglbauer muss heute noch lachen, wenn sie daran denkt: „Sechs Quadratmeter, und da haben wir dann teilweise zu dritt drin gekocht.“ Jetzt ist nicht nur die Küche größer, auch die Gäste haben mehr Platz. Rund 100 Quadratmeter, das ist groß genug, um auch mal einen etwas größeren Besucherandrang abzufangen – und immer noch klein genug, dass eine intime und angenehme Atmosphäre gewahrt bleibt.

Kreativ und herzhaft

Die Frage nach der Selbstständigkeit wäre also schon mal beantwortet. Warum dann aber Gastronomie? Ein herzhaftes Stieglbauer-Lachen: „Da kann ich mich kreativ austoben.“ Beim Blick auf die Speisekarte ahnt man, was sie meint: Zum Frühstück gibt es schon mal Dinge wie hausgemachtes Knäckebrot, marinierte Tomaten und Avocados oder auch mal einen Feigensenf. Das alles steht dann gleichberechtigt neben einer bayerischen Semmel mit Marmelade.

Zugute kommt ihr dabei eindeutig der Zeitgeist. Die Kunden sind offener geworden für Dinge, die bisher eher weniger fester Bestandteil der heimischen Küche sind. Eine wunderbare Situation für jemanden, der marinierte Tomaten genau so mag wie die gute alte Semmel.

Man kann sich die „Geschmackssachen“ aber auch ins Haus kommen lassen. Wirft man einen Blick auf die Kundenliste, sieht man schnell: Das machen auch viele. Kaum ein bekannter Name im Tegernseer Tal, der nicht schon mal das Catering von Christine Stieglbauer genutzt hätte.

Die aufrichtige Liebeserklärung ans Essen findet sich auch in der Innenausstattung der “Geschmackssachen”.

Geschmackssachen
Schwaighofstraße 77, Tegernsee
www.geschmackssachen-tegernsee.de

  • Viktoria Rebensburg

    Die Skifahrerin und Olympiasiegerin Viktoria Rebensburg wird Kolumnistin für die Seeseiten.