Warum Top-Clubs so gerne an den Tegernsee kommen

Vom Tegernsee in die Champions League

Neuer, Müller, dazu zwei Weltmeister-Zugänge: Im August ist der FC Bayern wieder zu Gast zu einem Trainingslager. Und auch Gladbach kommt. Fußball-Weltklasse am See: Ein Seeseiten-Blick hinter die Fußball-Kulissen.

Text: Dominik Wolf

Niemand hat mehr Zuschauer bei einer Dehnungsübung: Der FC Bayern sorgt in Rottach für Zustrom in jeder Traingslage.
Foto: FC Bayern München

Den Urlaub mit der Familie wird Thomas Lamm wieder verschieben müssen. Sein Sommer wird stressig werden, aber das ist er ja schon gewohnt. Seit drei Jahren ist er Vorstand beim FC Rottach-Egern, zehnte Liga, Kreis Zugspitze, Region Oberbayern. Die erste Mannschaft spielt um den Aufstieg, aber das ist es nicht, was Lamm Stress bereitet. In ein paar Wochen beginnt er wieder, der alljährliche Trainingslager-Marathon auf der Sportanlage am Birkenmoos. Zuerst trifft der FC Basel ein, kurz darauf Borussia Mönchengladbach und dann hat sich auch der FC Bayern wieder angekündigt.

Die Liste der Klubs, die schon in Rottach-Egern gastierten, liest sich wie der Spielplan der Champions League. Der FC Basel kommt seit 2008, Borussia Mönchengladbach zum mittlerweile achten Mal in Folge. Vor zwei Jahren hatte man den FC Liverpool mit Trainer Jürgen Klopp zu Gast. Davor schon Vereine aus Griechenland und der Türkei. Warum reisen Mannschaften aus ganz Europa ins Tegernseer Tal, um sich auf der Sportanlage eines Zehntligisten auf die neue Saison vorzubereiten?

„In China sieht man Bilder vom Wallberg im Fernsehen. Das ist schon Wahnsinn.” Thomas Lamm, Vorstand FC Rottach-Egern
Foto: Thomas Plettenberg

Erst kamen die Bayern, dann die anderen
Die Geschichte der Trainingslager in Rottach-Egern ist auch die Geschichte des FC Bayern. 1986 kam die Mannschaft zum ersten Mal für ein Trainingslager nach Rottach-Egern, quartierte sich fortan regelmäßig im Hotel Bachmair Alpina ein und begründete damit eine Tradition. Eine Tradition, die bis 2006 hielt und dann unterbrochen wurde. 2018 waren die Bayern dann erstmals wieder am See, einquartiert im Seehotel „Überfahrt“. Für die Münchner war es bequem, die Anreise aus der Landeshauptstadt kaum der Rede wert, das Nebeneinander von Berg und See versprach ideale Trainingsbedingungen, und die Spieler hatten im beschaulichen Ort ihre Ruhe – zumindest theoretisch.

Fast jeder, der länger in Rottach wohnt, weiß eine Anekdote zu erzählen. Wie man Jean-Marie Pfaff im Nachtleben traf oder wie später Felix Magath seine Spieler in aller Herrgottsfrüh antreten ließ, um sie den Wallberg hochzuscheuchen. Manchmal mehrmals am Tag. Dann, 2007 war das, entschied der damalige Trainer Ottmar Hitzfeld, das Trainingslager lieber im schwäbischen Donaueschingen abhalten zu wollen, der Stammgast aus München blieb über zehn Jahre lang fern. Bis er im vergangenen Jahr, ziemlich kurzfristig, wieder anklopfte – dem Vernehmen nach auch auf Betreiben des Präsidenten Uli Hoeneß, der selbst am Tegernsee wohnt.

Volksnahe Fahrradfahrer: Wenn die Borussen aus Mönchengladbach zu Gast sind, geht es gerne mal auf dem Rad den See entlang. Autogramme, Shakehands und Selfies eingeschlossen.
Foto: Thomas Plettenberg

Für Bürgermeister Christian Köck ist es der fünfte Trainingslager- Sommer in seiner Amtszeit. Er weiß um die Herausforderung, die jedes Jahr auf die Gemeinde zukommt: Mannschaft, Trainerstab, diverse Betreuer und Physiotherapeuten, dazu Journalisten und Kamerateams. Ganz zu schweigen von den zahlreichen Fans, die ihre Mannschaft begleiten. Bei den Gladbachern kommen etwa 600 Zuschauer zum Training, bei den Bayern sind es locker zwei- bis dreimal so viele. Die Trainingslager fallen genau in die Hochsaison, in der es mit Touristen und Tagesausflüglern auch ohne die Entourage der Klubs geschäftig zugeht.

Liverpool und Atlético wollten kommen – keine Chance!
Im vergangenen Jahr musste er deshalb sowohl dem FC Liverpool als auch Atlético Madrid, die beide großes Interesse bekundet hatten, absagen. Auch dieses Jahr habe es wieder Anfragen gegeben, die er ablehnen musste. „Drei Mannschaften von Ende Juni bis Anfang August sind schon sehr sportlich. Mehr geht einfach nicht“, sagt Köck. Das findet auch Thomas Lamm, der in diesen vier Wochen ohnehin alle Hände voll zu tun hat.

Ein vereinsinternes Organisationskomitee kümmert sich um alles, was nötig ist, damit die Trainingslager glatt laufen: 60 Helfer braucht er, wenn ein Testspiel ansteht – mindestens. Die nehmen sich teilweise extra frei, um im Schichtbetrieb aufzubauen, im Ausschank zu helfen und in den Buden Essen auszugeben. Einheimische Bauern stellen ihre Wiesen als Parkplätze zur Verfügung, die Freiwillige Feuerwehr regelt den Verkehr und die Zufahrt zum Gelände. „Es ist eine Mammutaufgabe. Würden wir nicht alle gemeinsam an einem Strang ziehen, wäre das alles hier nicht möglich“, sagt Lamm. Als Vereinsvorsitzender sei es zudem seine Pflicht, darauf zu achten, dass die Einschränkungen für den eigenen Verein nicht zu groß werden. Schließlich zahlen die Mitglieder Beiträge, um auch im Sommer Fußball spielen zu können, die Vorbereitungen auf die neue Saison seien schon etwas beeinträchtigt.

Der kleine Mann und der Meister: Einlaufkind an der Hand von Robert Lewandowski, da werden Fußballerträume wahr.
Foto: FC Bayern München

Ein Platz, der keine Wünsche offen lässt
Der Platz, auf dem die Mannschaften ihre Einheiten absolvieren, gehört, wie die gesamte Anlage, der Gemeinde Rottach- Egern. Und die investiert kräftig, damit der Rasen den Anforderungen der Profis genügt. Wenn die Gäste aus der Beletage des deutschen Fußballs abgereist sein werden, bekommt der Nebenplatz ein neues Ent- und Bewässerungssystem. 130 000 Euro wird das kosten. Viel Geld, doch der Gemeinderat, in dem auch Thomas Lamm sitzt, hat schon zugestimmt. Auch der Platzwart, der besonders in den Wochen vor den Trainingslagern dafür sorgt, dass die Rasenhöhe millimetergenau stimmt, ist bei der Gemeinde angestellt und holt sich regelmäßig Tipps von den Greenkeepern des FC Bayern.

Christofer Heimeroth kann die Güte des Platzes beurteilen. Schließlich stand er selbst schon oft drauf. Bis 2018 war er Torhüter bei Borussia Mönchengladbach, das Trainingslager im vergangenen Jahr begleitete er dann schon als Teammanager. Es liegt auch an Max Eberl, dass der Klub vom Niederrhein überhaupt an den Tegernsee kam. Der Sportdirektor der Borussia erinnerte sich bei der Suche nach einem Standort für das Sommer-Trainingslager an seine Zeit als Spieler beim FC Bayern – und an Rottach-Egern. Dass die Mannschaft seitdem immer wieder so gerne hierherkommt, ist für Heimeroth nicht verwunderlich: „Aus unserer Sicht bietet der Standort Rottach-Egern alles, was wir für ein erfolgreiches Trainingslager benötigen. Das Seehotel Über- fahrt, der Fußballplatz, die Organisation und die Infrastruktur, wir finden überall optimale Voraussetzungen vor.“

Während ihres Besuchs sucht die Borussia auch die Nähe zu ihren Fans. „Die Spieler kommen immer mit dem Fahrrad zum Training, nehmen sich Zeit und geben Autogramme“, erzählt Thomas Lamm. Max Eberl setze sich immer wieder zum Ratschen auf eine Bierbank zwischen die Fans. Und zum alljährlichen Fanfest, das im Rottacher Vereinsheim stattfindet, kämen nicht nur viele Spieler, sondern auch einige Legenden aus der langen Historie des Vereins.

Und noch ein Fußballertraum: Ein Tor gegen die Bayern schießen. Hat beim letzten Testspiel 2018 gleich zweimal geklappt. Da macht es nichts, dass auf der Gegenseite 20 Treffer stehen.
Foto: FC Bayern München

Bleibt die Frage, was Rottach-Egern von dem ganzen Trubel rund um die Trainingslager hat. Christian Köck, der Bürgermeister, räumt ein, dass die Rendite nicht sofort sichtbar wird, sagt aber auch: „Diese Werbung ist für uns unbezahlbar. Und davon profitiert jeder im Ort – vom Bäcker bis zum Tankwart.“ Die Fans quartieren sich für mehrere Nächte in den Hotels ein und diejenigen, die nicht übernachten, kehren zumindest in den Restaurants und Wirtshäusern rund um den Tegernsee ein.

Der FC Rottach-Egern durfte vergangenes Jahr vor 2500 Zuschauern ein Testspiel gegen die Bayern absolvieren, das live im Fan-TV übertragen wurde. „In China sieht man dann Bilder vom Wallberg im Fernsehen. Das ist schon Wahnsinn!“, sagt Thomas Lamm, der Vereinsvorstand. Das Spiel ging zwar mit 2:20 verloren, so richtig gestört habe das aber niemanden. „Für die Jungs war es ein Traum.“ Er weiß, wovon er spricht, denn er selbst hat in den 38 Jahren, die er jetzt im Verein ist, schon oft gegen die Bayern gespielt. Wie oft genau, das weiß er gerade nicht, sechs- oder siebenmal werden es schon gewesen sein. Nur gegen die Borussia, die ja mittlerweile auch Stammgast ist, hat er noch nie ein Testspiel erlebt.

Aber auch das soll sich ändern. Möglichst bald sogar.

Massen beim Meister: Den FC Bayern wollen halt dann doch alle sehen, egal ob Fans oder Medienvertreter.
Foto: FC Bayern München

Vom 14. bis zum 21. Juli bezieht Borussia Mönchengladbach wieder Quartier in Rottach-Egern. Viele Trainings sowie die Testspiele sind öffentlich. Vom 5. bis zum 10. August kommt dann für fünf Tage der FC Bayern ins Trainingslager an den Tegernsee. Wie im vergangenen Jahr werden die Münchner in der Heimat von Präsident Uli Hoeneß und Kapitän Manuel Neuer im Seehotel Überfahrt einkehren. Ein Testspiel gegen den FC Rottach-Egern ist ebenfalls wieder vorgesehen.

Seeseiten, Sommer 2019.
  • Herzogin Anna in Bayern

    Herzogin Anna in Bayern ist als Wittelsbacherin Nachfahrin einer Familie, die das Tegernseer Tal so stark geprägt hat wie kaum eine andere.