Derrick, Der Alte und die anderen

Der Tegernsee und seine Kommissare

Seit über 50 Jahren hat das Tradition: Der Freitag ist Krimi-Abend im ZDF. Eine Tradition, die mit einer Serie begann, deren Hauptdarsteller und auch deren Inhalte sehr viel mit dem Tegernsee zu tun hatten.

Text: Christian Jakubetz

Der Kommissar vom Tegernsee

Das Ur-Team: Günther Schramm als „Walter Grabert“, Fritz Wepper als „Harry Klein“, Erik Ode als „Herbert Keller“ und Reinhard Glemnitz als
„Robert Heines“.

Foto: ZDF, ARD

Derrick und Siska, Der Alte und Der Ermittler, der Staatsanwalt und Die Chefin: Freitag, 20.15 Uhr, ist Zeit für den Krimi und der wiederum ist sehr häufig mit ein oder zwei Personen verbunden. Im ZDF gerne auch mit der Position. Oder dem Alter.

Begründet wurde diese Tradition am 3. Januar 1969. „Toter Herr im Regen“ hieß die erste Folge einer Krimiserie, die zu den erfolgreichsten gehören sollte, die jemals im deutschen TV lief. Und schon in den diesen ersten Minuten der Serie war die Rollenverteilung klar: Erik Ode als der ruhige, überlegte väterliche Chef der Truppe, zu der auch der damals blutjunge Fritz Wepper als Harry Klein gehörte. Was damals noch nicht klar war: 97 Folgen lang sollten Ode, Wepper und Kollegen einen Straßenfeger produzieren. Erst sieben Jahre später endete der
Kommissar.

Wenn „Der Kommissar“ auf Verbrecherjagd hing, dann saß das Deutschland der späten 60er- und frühen 70er-Jahre gebannt vor dem Fernseher. Freitag, 20.15 Uhr, alle vier bis fünf Wochen: Kommissar Herbert Keller und seine vier Assistenten. Einer davon, Harry Klein nämlich, wurde so berühmt, dass ganze Sprüche zum geflügelten Wort wurden. Sogar solche, die er nie gesagt hatte. „Harry, hol schon mal den Wagen“ beispielsweise, das hat angeblich nie jemand gesagt, weder im „Kommissar“ noch später bei „Derrick”. Derrick sagte mal einen ähnlichen Satz: „Harry, wir brauchen den Wagen, sofort!“ (Folge 2, „Johanna“)

Trotzdem wurde dieser Satz zu etwas, was man im heutigen Internet-Zeitalter als Meme bezeichnen würde. Warum und weshalb, das weiß eigentlich niemand so genau. Aber er brachte vermutlich ungewollt die Reinecker- Krimis auf den Punkt.

Harry wechselte – und „Erwin Klein” wurde sein Nachfolger

Und nach wie vor ist Harry Klein der einzige deutsche Ermittler, der es mit derselben Figur und dem gleichen Darsteller als prägende Gestalt in zwei Krimi-Reihen gebracht hat. Dass eine Figur damals quasi von einer in die andere Serie übergeben wurde, das war damals eigentlich unvorstellbar. Dabei war die Versetzung des treuen Harry ein cleverer Schachzug. So konnte man davon ausgehen, dass sich bisherige Kommissar-Zuschauer auch für Derrick interessieren könnten.

So ganz falsch kann diese Rechnung nicht gewesen sein: Harry blieb 281 Folgen und fast ein Vierteljahrhundert an der Seite von Stephan. Oberinspektor Derrick kam insgesamt auf 281 Episoden, der „Kommissar“ schaffte „nur“ 97 Folgen.

Die Kommissare und der tegernsee

Immer überlegt, meistens überlegen: Erik Ode als Kommissar Keller war ein Ermittler, wie es ihn bis dahin noch nicht gegeben hatte. Privat lebte Ode viele Jahre eher zurückgezogen in Rottach-Egern.
Foto: ZDF

Was im Zeitalter von Internet und hunderten TV-Kanälen undenkbar wäre, war damals Realität: „Der Kommissar“ lockte bis zu 30 Millionen Menschen vor den Fernseher. Das waren Einschaltquoten von rund 60 Prozent, mehr als jede „Wetten, dass …“_Sendung oder ein WM-Finale. Sieben Jahre und 97 Folgen lang hatten Keller und Co. erstmals auch den US-Krimi-Serien im Deutschen Fernsehen Paroli geboten. „Der Kommissar“ wurde zum Dauerbrenner und etablierte den Freitag für das ZDF als Krimi-Abend. Ohne ihn hätte es all die Nachfolger nie gegeben: Keinen Derrick, keinen Alten.

Das alles kam aus der Feder des Autors Herbert Reinecker. Reinecker lebte zwar am Starnberger See, ganz ohne minimalen Tegernsee-Bezug kommt allerdings auch seine Geschichte nicht aus: 1958 schrieb er als damals noch vergleichsweise unbekannter und junger Autor einige Dialoge für einen Film namens „Die Landärztin vom Tegernsee“. Seine Geschichten und damit de facto nahezu alle Folgen der ersten Jahren des ZDF-Freitags-Krimis spielten in München. Immer wieder mal unternahmen seine Männer Ermittlungs-Ausflüge aufs Land. Manchmal blieben die Orte anonym, manchmal wurden sie mit Namen benannt. Bad Wiessee beispielsweise schaffte es mal in eine kurze Erwähnung (siehe dazu auch die Fun Facts dieser Geschichte).

Sowohl „Der Kommissar” als auch „Harry” lebten am Tegernsee

Dass mit Fritz Wepper und Erik Ode die Hälfte der Kommissar-Belegschaft am Tegernsee zu verorten ist: ein netter Zufall. Erik Ode schätzte die damalige Ruhe und die Abgeschiedenheit am Tegernsee. Im Gegensatz zu vielen anderen Prominenten wollte er keinen Trubel um sich. Und den, den es gab, beschrieb er mal so: „Das geht so weit, dass die Leute mich mit Teleobjektiven fotografieren. Das Unglück war nur, dass ich dabei nackt und ungewaschen in mein Arbeitszimmer kam.“

Homestorys und anderes kam für den Schauspieler nicht in Frage. 1971 gab er einmal im Garten seines Hauses in Rottach dem ORF ein Interview, man findet es immer noch bei YouTube.

Am Ende bekam er immer raus, wer‘s war: Erik Ode in einer Szene der ersten Kommissar-Folge.
Foto: ARD

Einen der anonymsten Prominenten nannte ihn einmal der Schauspieler Reinhard Glemnitz, der mit Ode alle 97 Kommissar-Folgen gedreht hatte. Dazu passte auch der letzte Wille, den Ode in seinem Testament niedergeschrieben hatte: Statt seine sterblichen Überreste in einem Grab zu verscharren, sollte die Urne mit seiner Asche im Meer versenkt werden. Weswegen es heute weder am Tegernsee noch sonstwo eine Grabstätte von Erik Ode gibt.

Die Fans verabschiedeten sich in Rottach vom „Kommissar“

Immerhin gab es aber 1983 vor der Seebestattung eine Trauerfeier in Rottach-Egern. Der Andrang von Menschen, die sich vom bis dahin wohl berühmtesten Kommissar der Nachkriegsgeschichte verabschieden wollen, war groß. Angeblich, so viel lässt sich bei Recherchen finden, sollen nicht wenige umliegende Gräber
durch den Andrang in Mitleidenschaft gezogen worden sein.

Fritz Wepper, der ewige Harry, wiederum lebt in Gmund. Mit mittlerweile 81 ist er der Benjamin unter der alten Truppe. Seine Ex-Kollegen Günter Schramm (alias Walter Grabert) und Reinhard Glemnitz (der den strengen Robert Heines spielte) sind mit 93 bzw. 94 Jahren deutlich älter. Erik Ode (Chef Kommissar Keller) wurde dagegen nur 72. Er starb bereits 1983 in seinem Haus in Weißach.

Dass der Tegernsee später zu einem beliebten Handlungsort für Krimis wurde, dass es eine fast nicht mehr überschaubare Zahl von Verbrechen und Ermittlern gibt, die irgendwas mit dem Tal zu tun haben – das ist dann wieder eine ganz andere Geschichte.

Unsere Ermittlungen

„Der Kommissar” spiegelt natürlich auch die Gesellschaft der damaligen Zeit wider. Geraucht und getrunken wurde in rauen Mengen, den Kommissar mal ohne Zigarette zu sehen, war eher selten. Ansonsten ein paar Zahlen aus der inoffiziellen Statistik: Demnach wurde rund 8,5 Mal pro Folge Alkohol getrunken. Allein die Hauptfigur, Kommissar Keller, konsumierte in 97 Folgen 125 alkoholhaltige Getränke, darunter 43 Rotweine, 33 Biere, 22 Whiskies, 14 Schnäpse und 10 Cognacs. Ein Trinkverhalten, das in heutigen Produktionen undenkbar wäre.

In der Folge „Die Nacht mit Lansky” wird ein Tatverdächtiger in der Spielbank Bad Wiessee verortet. Außerdem gibt es auch Musik aus dem Tegernseer Tal dort zu hören: Der „Chanson-Club Tegernsee” ist ausschnittsweise zu hören. Letzterer ging wiederum aus dem Gymnasium Tegernsee hervor. Berüchtigt waren die oft unvergleichlich hölzernen und redundanten Dialoge. Ein Beispiel:
– Sie sagten, Inge rief  sie an und sagte, „Werner ist tot“.
– Ja richtig. Ich sagte: „Nanu, was ist passiert!“
– Sie sagten also „Nanu?“
– Ja, ich sagte, „Nanu, was ist passiert!“
– Sagten Sie wirklich, „Nanu“?“
– Ich habe wirklich „Nanu“ gesagt. Gefällt Ihnen „Nanu“ nicht?
– Nicht unbedingt.
Wer die unnachahmlichen Dialoge mal in einer enorm witzigen Zuspitzung sehen will, der klicke diesen Link.

Vornamen werden in der Serie eher selten genannnt. Dass der Kommissar den schönen Vornamen Herbert trägt, weiß man nur aus den wenigen Folgen aus den Anfangszeiten der Serie, in denen seine Ehefrau noch mitspielt. Und sie nennt ihn – natürlich – beim Vornamen. Seine Mitarbeiter sprechen ihn generell nur mit „Chef” an, alle anderen, sogar die Bösewichte, ehrfurchtsvoll mit „Herr Kommissar”. Das Frl. Rehbein, die Sekretärin (heute würde man sagen: die Assistentin) des Teams, wird nie als Fräulein, geschweige denn als Frau oder mit ihrem Vornamen angesprochen. Auch ihr Vorname wird nie genannt. Angeblich lautete er Käthe, aus der Serie geht das aber nicht hervor. Von ihren Kollegen wird sie einfach nur „Rehbein” oder „Rehbeinchen” genannt. Wenn über sie gesprochen wird, klingt das auch nicht charmanter: Das Team benutzt dann bevorzugt die Wendung „die Rehbein”.

Apropos Tappert: Er tauchte bereits auch zweimal im Kommissar auf. Allerdings nicht als Ermittler, sondern einmal als Alkoholiker, der unter Mordverdacht steht (Folge „…wie die Wölfe”) und als zwielichtiger Geschäftsführer eines Etablissements (Folge „Die Nacht, in der Basseck starb”). Das war 1973. Ein Jahr später wurde dann aus dem Mann für die Bösewicht-Rollen der seriöse Stephan Derrick. Auch Siegfried Lowitz, später der erste Hauptdarsteller in „Der Alte”, spielt in einigen Folgen beim „Kommissar”mit.

Hier können Sie das Interview mit Erik Ode nachhören.

Fritz Wepper in "Um Himmels Willen"

Für Fritz Wepper war der „Kommissar“ der Start in eine lange TV-Karriere und für viele Rollen, wie hier im ARD- Dauerbrenner „Um Himmels willen“.
Foto: ZDF