"Podium" förderte den Jungstar unter den Pianisten

Amadeus Wiesensee: Der bodenständige Überflieger

Das Podium für junge Solisten holt seit bald 35 Jahren vielversprechende Talente der klassischen Musik an den Tegernsee. Wie erfolgreich das ist, zeigt die Geschichte von Amadeus Wiesensee.

Text: Dominik Wolf

Amadeus Wiesensee hat es geschafft: Er spielt große Auftritte und gilt als einer der besten Pianisten Deutschlands. / Foto Sammy Hart

Amadeus Wiesensee erinnert sich noch gut an diesen Abend im August 2012. An die stuckverzierten Decken des Barocksaals im Schloss Tegernsee, an die feierliche Atmosphäre und die gebannten Blicke. Auch was er gespielt hat, und dass er kaum aufgeregter war als sonst, kann der 25-Jährige mit Gewissheit sagen.

Dabei ist viel passiert in diesen sieben Jahren, die seitdem vergangen sind. Und trotzdem: Es war ein besonderer Abend, da ist er sich sicher. Besonders, weil die Eltern und viele Freunde im Publikum saßen, um ihn spielen zu sehen. Besonders auch, weil er gerade sein Abitur am Gymnasium Tegernsee gemacht hatte, das Leben eine neue Richtung einschlagen würde. Besonders vor allem aber, weil er „zuhause“ spielte. Amadeus Wiesensee ist Pianist und in Waakirchen aufgewachsen, von dort sind es nur 15 Minuten Autofahrt zum Schloss Tegernsee. Seine Biographie liest sich wie die eines Ausnahmetalents: Mit acht wird er Schüler am Richard-Strauss-Konservatorium in München, mit zwölf debütiert er mit dem Münchner Rundfunkorchester, zwei Jahre später wird er Jungstudent am Mozarteum Salzburg.

An diesem Abend vor sieben Jahren steht er nun vor einem entscheidenden Schritt seiner Karriere. Er spielt beim Podium für junge Solisten. Dessen Geschichte beginnt acht Jahre vor der Geburt von Amadeus Wiesensee. An einem Abend im März 1985 finden sich einige Freunde der Kammermusik aus dem Tegernseer Tal zusammen, die schon seit einiger Zeit im privaten Kreis Hauskonzerte veranstalteten. Sie beschließen, auch andere an ihrer Leidenschaft teilhaben zu lassen und gründen den „Freundeskreis für die Förderung junger Solisten e.V.”

Schon damals mit dabei: Claus Cnyrim. Seit beinahe 20 Jahren ist er 1. Vorsitzender des Vereins. „Wir haben gemerkt, dass es bei uns ein Interesse für Kammermusik gibt. Deshalb wollten wir hier, im Tegernseer Tal, eine Konzertreihe für junge Musiker etablieren“, sagt er über die Motivation der Gründungsmitglieder. Aus diesem Vorhaben ging das „Podium für junge Solisten“ hervor. Und Podium ist in diesem Fall wörtlich gemeint, denn vom Engagement des Vereins sollen beide Seiten profitieren. Die Musiker, die sich einem breiten Publikum vorstellen und Auftrittserfahrung sammeln können einerseits. Und andererseits die Menschen am Tegernsee, die nicht den Weg in die Metropolen antreten müssen, um hochklassige Konzerte zu erleben.

Der Tegernseer Barocksaal ist musikalische Heimat für die „Jungen Solisten“ geworden. Und Ausgangspunkt für möglicherweise große Laufbahnen. / Foto: Thomas Plettenberg

Eine musikalische Heimat, die keinen Vergleich scheuen muss
Im Barocksaal von Schloss Tegernsee haben sie eine musikalische Heimat gefunden, die so einigen großstädtischen Konzertsälen in Sachen Schönheit den Rang abläuft. Mittlerweile hat der Freundeskreis rund 300 Mitglieder, richtet acht Konzerte im Jahr aus und füllt den Barocksaal regelmäßig mit 200 Zuhörern.

Bei der Auswahl der Musiker richtet der Verein den Blick weit über die Grenzen der Region hinaus. Die für die künstlerische Leitung Verantwortlichen besuchen Nachwuchswettbewerbe und Festivals in ganz Europa. Dabei ist nicht allein ausschlaggebend, ob die jungen Musiker diese Wettbewerbe gewinnen, auch dritte, vierte und fünfte Plätze wurden schon eingeladen. Entscheidend ist, ob jemand zum Podium passt. „Das Podium hat einen erstaunlich guten Riecher bei der Auswahl der Musiker“, findet auch Amadeus Wiesensee, der vor seinem Solodebüt beim Podium ebenfalls bei zahlreichen Wettbewerben angetreten war – und meistens auch gewonnen hatte. Mit Claus Cnyrim verbindet ihn allerdings eine besondere Beziehung. Wiesensee saß schon im Alter von neun oder zehn Jahren mit seinen Eltern im Publikum, wenn der Freundeskreis wieder einen seiner Konzertabende veranstaltete. „Der Amadeus ist ein netter junger Mann und ein herausragender Musiker. Über seine Entwicklung freuen wir uns besonders“, sagt Cnyrim über ihn.

„Wir verstehen uns nicht bloß als Konzertveranstalter, sondern als echte Förderer der Musiker“
Warum kommen Musiker, die bereits in den großen Metropolen, in München, Berlin oder Leipzig mit großen Orchestern musiziert haben, an den Tegernsee? Claus Cnyrim zählt die Vorzüge auf: „Mittlerweile sind wir in der Branche keine Unbekannten mehr, wir bieten eine ordentliche Gage und verstehen uns nicht bloß als Konzertveranstalter, sondern als echte Förderer junger Musiker.“ Und dann wäre da noch etwas, das wohl am treffendsten mit bayerischer Gastlichkeit umschrieben wäre. Nach dem Auftritt am Tegernsee klingt der Abend bei einem Abendessen aus – nicht selten bis zum gemeinsamen Frühstück am nächsten Tag, denn viele der eingeladenen Musiker kommen bei Mitgliedern des Freundeskreises unter.

Auch danach endet die Verbindung an den Tegernsee nicht, der Verein verfolgt den Weg der Musiker und Musikerinnen weiter, die beim Podium auftraten. Diese Wege führen oft bis hinein in die größten Institutionen des Landes. Nach Dresden zum Beispiel, in den Kulturpalast, wo Michael Sanderling seit fast acht Jahren die Philharmoniker dirigiert. Mit 25 Jahren stand er beim Podium auf der Bühne. Oder nach München, in die Hochschule für Musik und Theater, wohin die Violinistin Julia Fischer, die 2010 beim Podium konzertierte, ein Jahr später als Professorin berufen wurde. Auch dafür, dass die Karriere von Amadeus Wiesensee ihren Lauf nehmen würde, trugen sie im Freundeskreis Sorge. Indem sie ihm ein Stipendium einrichteten, das zumindest einen Teil der Kosten abdecken sollte, die so eine Ausbildung in Anspruch nimmt. „Ich habe die Einladung immer auch als Appell verstanden, etwas aus meinem Talent zu machen“, sagt Wiesensee im Rückblick.

Und so konnten sie vom Tegernsee aus beobachten, wie Wiesensee sein Masterstudium an der Hochschule für Musik und Theater München aufnahm, wie er auf alle namhaften Festivals hierzulande eingeladen wurde und wie er schließlich 2018 als einziger deutscher Musiker für den Internationalen Deutschen Pianistenpreis nominiert wurde. Seit sechs Jahren lebt er mittlerweile in München. Der Kontakt zu Claus Cnyrim und zum Freundeskreis riss trotzdem nie ab. Auch heute telefonieren sie regelmäßig, um sich auszutauschen und auf den neuesten Stand zu bringen. So kommt es auch, dass Amadeus Wiesensee sieben Jahre nach seinem Solokonzert wieder beim Podium auftreten wird. Dann wird sich bestimmt wieder dieses Heimatgefühl einstellen, sobald er auf die Bühne tritt.

Das Portrait von Amadeus Wiesensee entstand anlässlich seines gemeinsamen Gastspiels mit Amelie Böckheler (Violine) im Juni 2019 im Barocksaal in Tegernsee.

Die nächsten Termine in der Konzertreihe „Podium für junge Solisten” im Barocksaal Tegernsee:
Esmé Quartett, Sonntag, 29. September 2019, 19:30 Uhr,
Barockensemble Tolmetes, Sonntag, 27.Oktober 2019, 11.00 Uhr
Podium der Jugend, Samstag, 30.November 2019, 19.30 Uhr

Seeseiten, Frühling 2019.
  • Viktoria Rebensburg

    Die Skifahrerin und Olympiasiegerin Viktoria Rebensburg wird Kolumnistin für die Seeseiten.