Die Malerin Ekaterina Zacharova

Unwahrscheinlich gut

Von Moskau nach Gmund, von der unsicheren Studentin zu einer gefragten Malerin: Die Lebensgeschichte von Ekaterina Zacharova ist eine gegen alle Wahrscheinlichkeiten. Dabei ist sie ein Beleg dafür, dass das Leben immer noch die besten Geschichten schreibt.

Text: Christian Jakubetz

Ekaterina Zacharova in ihrem Atelier in Gmund.
Foto: Raphael Lichius

Auftritt Ekaterina Zacharova in ihrem Wohnzimmer in Gmund: Die einstmals langen blonden Haare inzwischen halblang, grüne Jacke, Bluse, Schmuck, an der Wand natürlich – Gemälde. Die Szenerie könnte aus einem Film sein, „Die Malerin“ oder so. Insignien eines erfolgreich verlaufenden Künstlerlebens. Eine Zacharova hängt man sich gerne ins Wohnzimmer, ihre Bilder sind viel gefragt. Und vermutlich ist sie an einem Punkt angekommen, bei dem alleine der Name der Malerin das Gemälde per se gleich mal ein bisschen interessanter macht.

Wie also schafft man das, wie ist dieses „Being Ekaterina Zacharova“?

Hinter der Geschichte steckt zumindest ein erkennbares Muster. Was Ekaterina Zacharova macht, macht sie richtig. Mit aller Begeisterung, mit aller Leidenschaft, mit allem Engagement. Wenn sie erzählt, dann unter jeglichem Einsatz aller Mittel, mit Mimik, Gestik, Artikulation. Die Hände sind in Bewegung, die Augen blitzen, und schon mit einem kleinen bisschen Menschenkenntnis ist ihr anzusehen, wie sie sich im Moment gerade fühlt. Weil sie ein grundsätzlich gut gelaunter Mensch ist und andere Menschen meistens mag („Es muss schon viel passieren, dass ich jemanden nicht mag“, sagt sie) besteht die Mimik meistens aus: Lachen, Lächeln und einem aufmerksamen, wachen Blick. Würde sie nur russisch mit jemandem sprechen, wüsste man trotzdem einigermaßen, was sie gerade sagt.

Sie malt, wie sie erzählt.

Und vermutlich ist Ekaterina Zacharova zur gefragten Malerin geworden, weil sie das wollte und gemalt hat, als gäbe es nichts anderes.

Sozialimusgraues Moskau, barockes Gmund

Dabei war für sie lange Zeit keineswegs klar, dass sie irgendwann im Herbst 2021 in einem Wohnzimmer am Tegernsee sitzen würde. Klar war nicht mal, dass sie es zur anerkannten Künstlerin bringen würde und klar war, genau genommen, in ihrem Leben fast nichts. Außer ein unerklärlich starker Drang, das Richtige zu tun. Die Dinge, für die es sich zu leben lohnt. Und ja, auch das: frei zu sein.

Diese Sache mit der Freiheit liest sich vergleichsweise banal, wenn man eine (west-)deutsche Sozialisierung hinter sich hat. Wenn man dagegen in den späten 60ern in der Sowjetunion geboren ist, dann ist das mit der Freiheit keine so selbstverständliche Sache.

Ekaterina Zacharova hingegen, 1968 in Moskau geboren. Kalter Krieg beinahe auf dem Höhepunkt. New York ist weiter entfernt als der Mond, der eiserne Vorhang trennt die Welt in Ost und West, in gut und böse, dazwischen liegt fast nichts. Sie ist 14 oder 15, kommt im Teenageralter das erste Mal mit einer Theaterbühne in Berührung. In dem Moment ist ihr klar: Das ist meine Welt. Kunst, Kultur, Bühne.

Ekaterina Zacharova Malerin Tegernsee

Taking Off, Havanna 2016, 80 x 110, Öl auf Leinwand
Die Autos, entrückt aus einer anderen Zeit, rasen durch die Nacht. In der Luft liegt ein Geruch von Benzin und schmelzenden Reifen. Trotzig entflieht sie der Ödnis ins Reich der Träume.

Diese Welt, die nicht nur Freiheit verspricht. Sondern eine, die in jeder Hinsicht anders ist als das sozialismusgraue Moskau dieser Zeit.

Dabei sah es lange Zeit nicht danach aus, als würde aus dem Mädchen aus der Millionenmetropole die erfolgreiche Künstlerin. Schon allein deswegen nicht, weil die Ekaterina der jungen Moskauer Jahre große Zweifel an sich selbst und ihrer Begabung hatte.

Lebensläufe sind manchmal trügerisch. Aus jeder offiziellen Vita kann man entnehmen, dass sie sowohl das Kunstpädagogik-Studium in Moskau als auch das Studium der Malerei und Grafik an der renommierten Surikov-Akademie mit Bestnoten absolviert hat. Dabei hatte sie selbst vor allem an der Akademie das Gefühl, nicht richtig dazuzugehören. Weil die meisten der Kommilitonen aus klassischen Künstlerkreisen stammen. Ekaterina Zacharova hingegen: die Eltern eher aus Parteinähe kommend. Apparatschik-Tochter im Kreis von freidrehenden Künstler-Naturellen? Schwer vorstellbar, für ihre Eltern, alle anderen und nicht zuletzt auch für sie selbst.

Freiheit!

Die Aussicht auf die relative Freiheit des Künstlers und ein unbändiger Drang zur Kreativität sorgen dafür, dass sie weitermacht. „Bücher lesen, reden, diskutieren“, alles das, was man sich klischeehafterweise unter einem Künstlerleben vorstellt, macht auch die Moskauer Tage von Ekaterina Zacharova aus. Die Bestnoten? Ein Beleg für ihr Talent als Malerin. Zacharova selbst sind sie augenscheinlich egal. Spricht man mit ihr, erwähnt sie diese Noten kein einziges Mal.

Das breitbeinige, von der eigenen Bedeutung überzeugten Verhalten anderer Menschen, dieses Auftreten war ihr immer fremd. Und ist es heute noch. Selbstzweifel? „Ja, natürlich habe ich die noch“, räumt sie ein. Und die sind auch gut so. Würde man aufhören, an sich zu zweifeln und deshalb auch an sich zu arbeiten, man würde aufhören, sich weiterzuentwickeln. Ihr Grundsatz: „Wenn du glaubst, dass du ganz oben bist, beginnt in diesem Moment der Abstieg.“ Man muss kein Bergsteiger sein, um den Sinn dieser Metapher zu begreifen.

Trotz eines vergleichsweise angenehmen Lebens in Russland zieht es sie weg. Zunächst zu einem Gaststudium nach Stuttgart, 1996 dann endgültig nach Bayern. In Russland hätte sie es einfacher haben können. Da gab es immer wieder mal Aufträge des Staats. Nicht die große künstlerische Erfüllung, aber eine Art finanzielle Grundsicherung – „und dazwischen hatte man seine Ruhe“, lacht sie. Trotzdem gibt sie diese vermeintliche Sicherheit auf und tauscht sie mit den Risiken einer marktgetriebenen Kunst des Westens. „Daran, dass meine Kunst jetzt auch eine Art Business sein sollte, musste ich mich erst mal gewöhnen“, räumt sie ein.

„Der Stil hat mich gefunden“

Heute ist Ekaterina Zacharova weit entfernt von den Sowjet-Auftragsarbeiten. In den dazwischen liegenden 28 Jahren, seit denen sie in Deutschland ist, hat sich ihr eigener Stil entwickelt, diese Art des Malens, die aus einem Bild „eine echte Zacharova“ werden lässt. Kann man so etwas mit Handwerk erlernen, lässt sich ein eigener Stil entwickeln? Ekaterina Zacharova überlegt, lacht dann herzhaft, wie so oft: „Ich habe keinen Stil gefunden, er hat mich gefunden.“

Und die Sache mit dem vermeintlichen Business ist für sie immer noch nicht entscheidend. Sie malt, was sie malen muss, was sie malen will. Und vermutlich funktioniert Kunst auch nur so. Würde man anfangen, als Malerin erstmal über die vermeintlichen Bedürfnisse eines Marktes nachzudenken, es wäre das Ende aller künstlerischen Kreativität.

Zumal Zacharova, – Ja, wie nennt man das? – aus dem Bauch heraus malt? Emotionen in Bilder gießt?

Und klingt das nun nach dem Klischee der Künstlerin, die einfach wartet, bis sie die Muse küsst? Nur eingeschränkt. Natürlich komme es vor, erzählt sie, „dass ich plötzlich eine Idee habe, dass ich weiß, das muss ich jetzt sofort auf der Stelle malen.“ Trotzdem ist ihr Alltag dem eines normalen Arbeitnehmers gar nicht so unähnlich: Morgens um 9 ins Atelier, arbeiten, im Regelfall bis in die Abendstunden.

Ekaterina Zacharova Malerin Tegernsee

Frühling, Boulevard des Capucines, Paris 2019, 80 x 130, Öl auf Leinwand
Leichtfüßig saust die Joggerin vorbei an den Spätaufstehern, die im hellen Frühlingslicht beim Kaffee verweilen und immer noch zögern, in den verheißungsvollen Tag einzutauchen.

Mit dem Unterschied, dass das Malen auf Knopfdruck nicht so leicht funktioniert: „An manchen Tagen merke ich, dass heute einfach nichts geht.“ Kennt jeder, aber die meisten können das dann mit Routine ausgleichen. Malen als Routine allerdings, man muss kein Maler sein, um zu ahnen: Geht nicht.

Was man dafür aber in jedem Fall braucht: einen scharfen Blick und eine abstrakte Fantasie. Was auf den ersten Blick nach Widerspruch klingt, wird klarer, wenn man einen Blick auf Zacharovas Arbeitsweise für ihre Bilder wirft, mit denen sie in den letzten Jahren Menschen und Straßenszenen aus den Metropolen der Welt gemalt hat. Im Café sitzen, Passanten und die Umgebung beobachten, auf sich wirken lassen, „manchmal stundenlang“.

Das Ergebnis ist dann am ehesten mit dem vergleichbar, was man in der Musik „Sampling“ nennt: „Die Menschen, die ich dann male, die habe ich an diesem Tag alle gesehen und entstehen trotzdem erst in meinem Kopf.” Fantasie und Realität vermischen sich dann. Das Ergebnis ist oft atemberaubend: eine einzige Szene, gemalt noch dazu. Und trotzdem verdichtet sich in dieser einen Szene das Lebensgefühl einer Stadt. Gemalt hat Ekaterina Zacharova solche Straßenszenen u.a. in New York, in Paris, in Havanna und einmal sogar in Rosenheim. Wenn man noch niemals in New York war, bekommt man durch Zacharovas Bilder einen Eindruck, was den Big Apple ausmacht.

Fast 30 Jahre ist es inzwischen her, dass sich Ekaterina Zacharova auf ihren Weg machte. Raus aus dem Postsozialismus, dem zerfallenden sowjetischen Riesenreich. Rein in das unbekannte und trotzdem so vielversprechende Westeuropa, nach Deutschland. Seit genau 25 Jahren lebt sie jetzt in Bayern.

Geblieben ist ihr aus dieser Zeit nur noch der unverkennbare russische Akzent. „Natürlich verstehe ich noch Russisch“, sagt sie. „Aber es zieht mich nichts mehr dorthin.“ Ihre Heimat? Gmund, das Tegernseer Tal, Bayern, die Welt. Die Gmunderin und Weltbürgerin hat in Tokio ebenso ausgestellt wie in New York und Miami, ihre Motive stammen aus Metropolen und Landschaften der ganzen Welt. Trotzdem, am Ende sind es der See, die Berge, das Tal und die Menschen dort, denen sie sich zugehörig fühlt.

Hat sich eigentlich irgendetwas geändert während der Pandemie, wie sind die Pläne für die Zukunft? „Für mich“, sagt sie und lacht noch einmal, „hat sich eigentlich nichts geändert, ich habe einfach weiter gemalt.“

So wie sie es ihr ganzes Leben lang gemacht hat.

In ihrem Atelier in der Wiesseer Str. 4 ist Ekaterina Zacharovas Serie „just a woman“ zu sehen.

Transzendenz, Bolshoi, Moskau 2021, 150 x 330, Öl auf Leinwand
Aus prosaischer Wirklichkeit hinter den Kulissen werden sie gleich in die schwebende Immaterialität der Bühne entfliehen, die weißen Schwäne des Bolshoi.

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