„Doktor Wald“ beruhigt und schult die Sinne

„Es geht darum, die Sinne wieder zu schulen und die Aufmerksamkeit nur auf diese eine Sache zu legen”, erzählt Huber, der in diesem Jahr zum Thema „Doktor Wald” unterwegs ist. „Der Wald wirkt wie ein Dämpfer auf Lärm und Licht und schafft so eine ganz eigene Atmosphäre. „Es stimmt, von der Straße und sogar vom scharfen Ostwind, der heute über den Tegernsee bläst, merkt man hier nicht viel mehr als ein Astrascheln. Die Geräusche von Autos kommen wie aus der Ferne und das helle blendende Sonnenlicht bricht sich fast magisch zwischen den grünen Blättern und nur wenig davon gelangt bis zum nadelbedeckten Boden.

Wir machen weitere Übungen. Ich befühle und umarme blind einen Baum, um anschließend zu versuchen, ihn auch mit offenen Augen wieder zu erkennen. Bei einer anderen Übung laufen wir barfuß über den Waldboden, was viel an- genehmer ist, als zuerst gedacht. Die weichen Nadeln piksen kaum, das Moos ist kühl und weich und selbst wenn mal ein Ast oder ein Tannenzapfen auf dem Boden liegt, federt der Waldboden weich nach. Es ist herrlich, buchstäblich so geerdet zu werden. Ich bin jetzt richtig angekommen im Wald und entdecke viele Dinge, an denen ich sonst eher achtlos vorbei gehe: Die Spechthöhle im umgestürzten Baum, den Fuchsbau unter einer Wurzel, und es wird klar, dass dies hier ein unglaublich reicher Lebensraum ist. In jeder Hand voll Boden befindet sich Pilzgeflecht, unter jeder Rinde wuseln Asseln, Käfer und Würmer. Und wie viele Vogelarten ich gehört habe, kann ich kaum zählen. Mein Stresslevel, angesichts nahender Abgabetermine, einem kranken Kind und dem anderen täglichen Wahnsinn ziemlich hoch, ist plötzlich einer wunderbaren Gelassenheit gewichen.

Wie und wo genau das in der letzten Stunde passiert ist, weiß ich nicht. Die Wissenschaft erklärt das mit der Mischung aus ätherischen Ölen, die die Pflanzen verdunsten, den entspannen – den Waldgeräuschen und der beruhigenden Wirkung der Farben in der Natur. Aber so ganz geklärt ist immer noch nicht, warum uns die Natur soviel Kraft gibt und uns entschleunigt. Bewiesen ist allerdings, dass das Immunsystem und der Stoffwechsel mehr als positiv auf den Wald reagieren, was in den letzten Jahren sogar dazu führte, dass Rehazentren und Krankenhäuser diverse Behandlungen nach draußen verlagern. Regeln für das Waldbaden gibt es keine. „Man sollte den Naturgenuss nicht schon von vornherein reglementieren”, so Michael Huber. „Nur, der Wald ist kein Freizeitpark und seine Besucher sollten sich respektvoll und nicht zu laut in der Natur bewegen, keinen Müll hinterlassen und nichts zerstören.”

Ob auf verschlungenen Pfaden oder befestigten Wegen – im Tegernseer Tal laden rund 180 km² Waldfläche dazu ein, sich von der guten Wirkung selbst zu überzeugen. Es lohnt sich wirklich. „Man kann die Natur auf einem anderen Weg erfahren, als etwas Lohnendes, wenn man sie in Ruhe auf sich wirken lässt”, sagt Michael Huber. Und es ist eigentlich ganz einfach. Man muss nur in den nächsten Wald gehen.