Für Nina Koch ist der Wallberg Trainingsgelände

Die Frau, die nie außer Atem kommt

Nina Koch zählt zu den besten Bergläuferinnen Deutschlands. Am Wallberg trainiert sie für steile Ultradistanzen und blickt vom Amphitheater auf die wenigen Gipfel, auf denen sie noch nicht stand.

Text: Sissi Pärsch / Fotos: Christian Penning

Oberteil, Rock und Schuhe liegen schon bereit. Nina Koch macht sich fertig zum Aufbruch. Allerdings hat die 39-Jährige aus Rottach-Egern kein Business-Meeting. Nina hat eine andere Art der Verabredung, eine Verabredung mit dem Wallberg. Wobei es auch irgend- wie ins Theater geht – aber dazu später mehr…

Nina ist Trail-Runnerin und Ultraläuferin. Was das bedeutet? Sie läuft nicht nur viel, sie läuft auch lang. Und sie läuft nicht in der Ebene auf Asphalt, sondern auf Pfaden durch die Berge. Auf den Großglockner oder die Zugspitze, über den kompletten Alpenhauptkamm oder durch die kalifornischen Gebirgsketten. Die Dimensionen eines Marathons mit 42 Kilometern relativieren sich im Schatten von Ninas Vorhaben. Der Eiger Ultra Trail mit 51 Kilometern und 3100 Höhenmetern ist für sie „eine kleinere, aber sehr schöne“ Runde. Der Wallberg dient ihr als „feines Trainingsgelände“.

Wie viele Hunderte Male sie schon auf dem 1.722 Meter hohen Hüter des Tegernsees stand, kann sie nicht sagen. Sie trainiert meist fünf Mal die Woche und der Wallberg war schon ein Lieblingsgipfel, bevor er ihr Hausberg wurde. Nina stammt aus München und zog erst 2017 an den Tegernsee, in einen uralten Bauernhof in Rottach-Egern, der ganz nah am Wasser gebaut ist. Davor lief sie an der Isar, „aber ich bin einfach ständig an den Tegernsee gependelt. Irgendwann war klar, dass es mehr Sinn macht, hier draußen zu wohnen.“

Und seitdem hat sie den Wallberg stets im Rücken – oder unter den Füßen. Das geht ja schnell, zumindest bei ihr. 50 Minuten braucht sie von der Tal- bis zur Gipfelstation. Das sind 800 Höhenmeter. Meist läuft sie noch weitere 100 Höhenmeter den felsigen Kamm entlang auf den Gipfel.

„Für mich strahlt der Wallberg Beständigkeit und Treue aus, fast schon Geborgenheit“, sagt sie und lächelt. „Es ist ein spannender und abwechslungsreicher Berg, alles andere als langweilig – aber eben auch nicht gefährlich. Ich laufe immer mit Minimalausrüstung.“

Die Brennerin vom Tegernsee

Abstieg im Laufschritt – in den Bergen und am Tegernsee fühlt sich Nina Koch zu Hause. Sie entdeckt laufend neue Seeseiten…

Mit wie wenig man auskommen kann, das bemerkt auch Otto-Normal-Wanderer verwundert, wenn er mit festem Schuhwerk und gut gefülltem Rucksack empor stapft. Nina ist kaum hörbar, ihr Atem geht ruhig. So zuckt manch einer überrascht zusammen, wenn er ein freundliches „Servus“ hört und die junge, hübsche Frau mit leichten Schuhen und schnellen Schritten vorbeizieht.

Obwohl Nina Sponsoren (und auf Instagram eine rege Followerschaft) hat, so lebt sie nicht von dem Sport. Sie ist selbstständige Sales Managerin für Filmlizenzen von Kinderanimationsprogrammen. Der perfekte Job, meint sie: „Er macht Spaß und ich kann mir den Tag einteilen wie ich möchte.“ Den Sport professionell auszuüben, wäre auch aus dem Grund nicht ihres, erklärt sie später am Gipfel, weil sie ihn niemals als Zwang empfinden will. Für sie funktioniert es nur über den Spaßfaktor. Und das bei so langen Strecken? „Ja, ich weiß, ich bin ein wenig verquer, weil ich erst so richtig reinkomme, wenn es länger dauert. Ich bin hinten raus stark“, erklärt sie weiter. „Auf den Wallberg sprinten viele schneller. Aber ich kann ihn eben ohne Probleme fünf, sechs, sieben Mal laufen.“ Generell, meint sie, sei ihre Grundlage so groß wie ihr Entdeckerdrang. „Ich liebe es einfach, ewig durch die Berge zu laufen und ständig neue Ausblicke zu haben.“

Rund um den Tegernsee liegen ihre Wohlfühlberge, die Berge, die sie kennt und wo sie sich Zuhause fühlt. Doch ansonsten läuft Nina keinen Wettkampf zweimal: „Da kenne ich ja dann die Strecke schon und mir geht es speziell auch darum, Neues zu erleben.“ Jedes Jahr, so hat sie sich vorgenommen, möchte sie zehn neue Gipfel erlaufen.

Sie erzählt das oben am Gipfel des Wallbergs. Nina hat uns ein Stück weg vom Kreuz gelotst – „ins Amphitheater“, meinte sie und tatsächlich schaffen die faszinierenden Felsen hier eine natürliche Theaterkulisse. Und Nina kennt selbstverständlich die besten Logenplätze. Ein Stück dem Gipfel entrückt sitzen wir still da und saugen die Alpen auf: der Wendelstein, der Wilde Kaiser, die Blauberge, das Karwendel – schier unendlich viele Gipfel breiten sich vor uns aus. „Na ja“, lacht Nina. „Das ist relativ. So viele sind es dann doch nicht.“ Man blickt sie ungläubig an. Sie war schon auf all diesen Bergen? „Nein, auf allen nicht“, meint sie und schüttelt den Kopf: „Gott sei dank. Aber langsam wird’s schon schwer, neue Ziele zu finden.“

Die Brennerin vom Tegernsee

Das klingt zwar nach einer jahrzehntelangen Läuferkarriere, aber Nina hat erst recht spät mit dem Sport begonnen. Klar, die Münchnerin kommt aus einer sportlichen, bergbegeisterten Familie, „aber während meiner Abi- und Studienzeit habe ich vor allem eins gemacht: gefeiert.“ Erst nach dem Studium kam sie beim Auslandsjahr in Australien wie- der zum Sport – damals war es das Surfen. Und als sie dann in München ihren Job antrat, ging sie erst an der Isar laufen und schließlich auch wieder in die Berge – immer häufiger, immer höher, immer zügiger.

Dazu muss man sagen, dass ihr damaliger Begleiter einer der weltbesten Alpinisten war. Basti Haag schrieb gemein- sam mit seinem Freund Benedikt Böhm als Speed-Bergsteiger Alpingeschichte. Die beiden stellten Rekorde an den höchsten Bergen der Erde auf – bis Basti 2014 am Achttausender Shishapangma durch eine Lawine ums Leben kam. Der Hirschberg bei Kreuth ist auch aus diesem Grund für Nina einer der schönsten Plätze, weil es einer von Bastis Lieblingsbergen war und Freunde und Familie hier für ihn ein Denkmal errichtet haben. Auch hier sitzt sie oft und länger. Das Laufen schafft Freiraum in Ninas Kopf. Eigentlich paradox, dass sie bei diesem schnellen Sport zur Ruhe, zum Durchatmen kommt. Oben angekommen zählt nicht der Blick auf die Uhr und die Zeitnahme, sondern der Blick in die Landschaft. Sie läuft bei jedem Wetter. „Ich liebe die Atmosphäre, gerade wenn es nicht perfekt ist. Bei Starkregen platscht es auf dich herab und kein Mensch ist unterwegs. Wenn du dann oben stehst, durchatmest und es trotz der lauten Tropfen ganz still in dir ist. Das sind wunderbare Momente.“ Gemütlicher allerdings ist es abends, wenn die anderen ins Tal zurückgekehrt sind und sie doch tatsächlich „ein Feierabend-Gipfelbier“ in ihren kleinen Rucksack gepackt hat.

Keine 20 Minuten braucht sie dann wieder ins Tal. Nina ist schnell bergab, ihre „heimliche Stärke“. Kein Wunder, dass es sie auch wieder nach unten zieht, schließlich gibt es auch dort einiges zu tun. „Hier zu leben ist fast schon verrückt. Ich gehe laufen, stehe auf dem Gipfel, atme durch, schaue in die Alpen und auf den See und weiß: Da badest du jetzt dann gleich deine Füße drin.“ Abends, wenn der See ganz ruhig da liegt, paddelt sie mit dem SUP-Board rüber zum Bräustüberl, trifft sich mit Freunden im Biergarten oder holt bei Francesco eine Pizza – und paddelt dann wieder zurück nach Hause mit Blick auf die Berge. „Wo gibt’s denn so was?“ fragt Nina, lacht und gibt sich die Antwort gleich selbst: „Hier!“

Seeseiten, Herbst 2018.
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