Der größte Zuagroaste vom Tegernsee
Wie ein 500 Jahre altes Bergbauernhaus zum Wallberg kam
Kaum ein Hof rückt dem Wallberg so nah, wie der der Familie Bogner in Rottach-Egern. Der Zotzn ist ein traditionelles Wirtshaus in seiner schönsten Form und wichtiger Bestandteil der Dorfgemeinschaft. Dabei ist das über 500 Jahre alte Bergbauernhaus „zuagroast“ aus Tirol.
Text: Sissi Pärsch | Fotos: Julian Rohn für Tegernseer Tal Tourismus
Der mächtige Voitlhof am Fuße des Wallberg.
Foto: Julian Rohn für TTT
Das Gipfelkreuz“, sagt Sepp Bogner und zeigt hinauf zum Wallberg, „haben’s an meinem Geburtstag aufgestellt, am 14. August – nur 92 Jahre vor mir.“ Im Jahr 1892 war er noch nicht dabei. Aber als Mitglied des Trachtenvereins „Die Wallberger“, dem Stifter des über acht Meter hohen Kreuzes, hat er dort oben einige Bergmessen gefeiert und Johannifeuer entfacht.
„Klar bin ich mit dem Wallberg eng verbunden“, meint er weiter und lächelt: „Wir stehen uns eben sehr nahe.“ Das kann man wortwörtlich nehmen. Denn der Wallberg ist Sepps Hausberg. Oder besser: sein Hofberg. Sepp führt in Rottach-Egern im uralten Voitlhof das Wirtshaus „Zum Zotzn“. Eine legendäre Einkehr, berühmt für seine Krustenbraten- Spezialitäten und seine spezielle Rolle im gesellschaftlichen Tegernsee-Geschehen.
„Eigentlich“, sagt Sepp, „war er schon vorher ein Bayer.“ Den Beweis hat der 34-Jährige beim Dampfabstrahlen gefunden. „Bling hat’s gemacht, und es sprang mir aus einer Ritze eine Münze aus dem Jahr 1807 entgegen. „Königreich Bayern“ stand da drauf – damals hat Tirol nämlich zu Bayern gehört. Also, siehst: Das ist schon die richtige Heimat für ihn hier.“ Und tatsächlich: Sein Voitlhof, dieses prächtige Gebäude, wirkt am Fuße des Wallbergs in Rottach-Egern unverrückbar. Dabei ist das uralte Haus ursprünglich nicht hier errichtet worden, sondern im gut 60 Kilometer entfernten Brixlegg in Tirol. Dort im Alpbachtal wurde es erstmals 1532 urkundlich erwähnt – und dort wurde es 2012 zum Abriss freigegeben. Der Hof „wäre unwiederbringlich zerstört worden – und um ihn wäre es wirklich schad‘ gewesen“, sagt Sepp und lässt seine Augen über die rustikalen Wände der Stube wandern.
Wo Mann, Haus und Umgebung bestens zusammenpassen: Sepp Bogner, Hausherr und Wirt am Voitlhof.
Foto: Julian Rohn für TTT
Beim Restaurieren stellt sich heraus: Der Hof war schon immer ein echter Bayer
Sepps Vater, Josef Sen., wanderte als 18-Jähriger aus dem Tiroler Tal an den Tegernsee aus. Dass er über vier Jahrzehnte später ein Stück seiner alten Heimat in die Neue holen würde, hätte er sich nicht träumen lassen. Aber als der Bruder ihm von dem Gebäude erzählt hatte und sich kein anderer fand, der sich ihm annehmen wollte – da war es für die bayerischen Bogners klar, dass sie dieses wertvolle Haus an den Tegernsee holen müssen.
Eine Herkulesaufgabe, die sich nur mit dem Einsatz von Familie und Freunden stemmen ließ – im wahrsten Sinne des Wortes: 160 Kubikmeter Holz bauten sie erst vorsichtig ab, beschrifteten jedes einzelne Stück Holz, und transportierten es nach Rottach-Egern: Der Voitlhof ist der gewichtigste Zuagroaste am Tegernsee. Sepp, der gelernte Zimmermann, baute den Hof 2016 an seiner neuen Stelle wieder auf und lernte dabei jede Holzfaser kennen. Auch wenn nicht aus jeder Ritze gleich eine Münze sprang, so ist der Voitlhof doch Gold wert – für die Bogners wie für den Tegernseer an sich. Der Aufbau war eine neunmonatige Schwerstgeburt, die nur mit der Unterstützung der Tal-Gemeinschaft funktionieren konnte. Der Hof ist ein Zeugnis für den selbstverständlichen Zusammenhalt der Menschen – und inzwischen ist er es, der diese Menschen zusammenhält. Denn im Zotzn, dem urigen (und dabei gar nicht kitschigen) Wirtshaus, trifft man sich, diskutiert man, entwickelt Projekte und schiebt Dinge an.
Mit Kitsch hat man im Zotzn nichts am Hut – mit Tradition und Heimatgefühl dagegen schon
Das hat schon Tradition an diesem Platz am Fuße des Wallbergs. In der vorhergehenden Gaststätte von Josef Senior wurde unter anderem die Idee der Naturkäserei Tegernseer Land geboren. Am Stammtisch begannen einige Querdenker die Situation der aussterbenden kleinen Milchbauern zu reflektieren. Um die Landschaft, das Brauchtum und die bäuerliche Struktur zu erhalten, entschloss man sich schließlich vor 13 Jahren, eine eigene Milch- und Käseproduktion auf Heumilch-Basis aufzubauen.
Heute ist die Naturkäserei ein wichtiges Aushängeschild, das man weit über die Talgrenzen kennt – und kauft. Und auch das Gebäude der Käserei hat sich zum beliebten Ziel für Urlauber, Tagesausflügler und Einheimische entwickelt. Josef Senior ist Aufsichtsratsvorsitzender der Naturkäserei, und in Rottach-Egern lagern in den Kellerräumen bis zu 5000 Laibe Bergkäse zur Veredelung. Sein Sohn Sepp ging damals noch weiter: bis in die Schweiz. Im Simmental machte er ein Praktikum bei einem Käsemeister, kam mit viel Wissen zurück – und mit seiner zukünftigen Frau.
Auch das Innere des Hauses überzeugt: rustikal, traditionell, aber nie kitschig.
Foto: Julian Rohn für TTT
„Jeder braucht jeden, das ist einfach so“
Dennoch wurde er nicht Käser oder Landwirt. „Es geht nicht darum, dass man Dinge nur macht, wenn man direkt betroffen ist“, erklärt er. „Ganzheitliches Denken mag nach einem modernen Trend klingen, aber es ist eine schon immer bestehende Wahrheit – in der Natur und bei uns Menschen genauso. Wir wollten damals die traditionelle Landwirtschaft vom Aussterben bewahren, weil sie für jeden von uns wichtig ist. Die Dinge hängen zusammen, vom Boden über den Grashalm bis zum Endprodukt. Und genauso auch wir als Gemeinschaft: Jeder braucht jeden. Das ist einfach so.“
Nachdem die Gemeinde der Familie Bogner den Nachbargrund zu Verfügung stellte (ein 90-jähriges Erbbaurecht), richtete sich Sepp seinen Tiroler Voitlhof nach seiner Vorstellung aus: „Wir wollten ja nicht nur etwas bewahren, sondern den Hof mit Leben füllen. Das Alte ist doch nicht nur zum Anschauen da. Es muss integriert, genutzt, weitergeführt werden.“ Sepp wollte „was Gscheit’s“ aufbauen. „Also etwas, das nachhaltig ist, wirklich bis ins Detail durchdacht. Gehobene Küche und Pizzerien gibt’s viel, aber die Wirtshauskultur verschwindet mehr und mehr. Wir sind ein ganz normales Wirtshaus für jedermann.“ Und gleichzeitig ist es den Bogners ein Anliegen, die Heimat am Fuße des Wallbergs zu beleben. Und das haben sie in der Gemeinschaft geschafft.
Wen es mal nicht auf den Berg zieht, der kann hier unten getrost den ganzen Tag verbringen. Man kann Minigolf spielen und durch den Laden von Sepps bestem Freund stöbern. Martin Wiesner ist nämlich mit seinem Hutmacher-Betrieb und authentischem Trachtengeschäft im Voitlhof untergekommen. Gegenüber wiederum führt der Schwager das Café Gäuwagerl. Dort kann man nicht nur im stillen Garten sitzen und beim Kuchen oder Heumilcheis zum Wallberg hinaufblinzeln. Man kann auch das angeschlossene Kutschenmuseum besuchen und Goaßlschlitten, Jagdwagen und Almkarren oder exquisite Schiffslandauer aus dem Jahr 1800 begutachten.
Gemeinschaftssache: Martin Wiesner – bester Freund von Sepp Bogner – führt seinen Hutmacher- Betrieb im Voitlhof.
Foto: Julian Rohn für TTT
Wen es mal nicht auf den Berg zieht, der kann hier unten getrost den ganzen Tag verbringen. Man kann Minigolf spielen und durch den Laden von Sepps bestem Freund stöbern. Martin Wiesner ist nämlich mit seinem Hutmacher-Betrieb und authentischem Trachtengeschäft im Voitlhof untergekommen. Gegenüber wiederum führt der Schwager das Café Gäuwagerl. Dort kann man nicht nur im stillen Garten sitzen und beim Kuchen oder Heumilcheis zum Wallberg hinaufblinzeln. Man kann auch das angeschlossene Kutschenmuseum besuchen und Goaßlschlitten, Jagdwagen und Almkarren oder exquisite Schiffslandauer aus dem Jahr 1800 begutachten.
Die Bogner-Familie mag es, Brauchtum am Leben zu erhalten und sie mögen es, Gastgeber zu sein. Zwei Schwestern von Sepp führen hinter Wildbad Kreuth in einer Bilderbuchidylle die Almwirtschaft Siebenhütten. Am meisten „querdiskutiert“ wird aber im Zotzn. Hier findet man ein breites Meinungsspektrum, weil sich die unterschiedlichsten Menschen im Voitlhof so wohlfühlen. Zu den Politikern „schiebt man mal was ummi“, sagt Sepp, „ein paar Denkanstöße“. Der 34-Jährige ist solch ein umtriebiger Antreiber, dass man ganz vergessen könnte, dass er doch in erster Linie Wirt ist. Und dass er gemeinsam mit seinem Vater den Zotzn-Krustenbraten zu einer Legende gemacht hat, für den die Leute von sehr weit anreisen.
In neun unterschiedlichen Varianten kann man den über dreieinhalb Stunden zubereiteten Braten bestellen, von der Waldfest-Art bis zur mediterranen. Und was macht Sepp, wenn er mal frei hat? Dann ist er mit seiner Frau und den drei Kindern in den Bergen. „Meistens gehen wir auf eine Hütte und lassen es uns gut gehen.“ Und auf den Wallberg hinaufgondeln? „Eigentlich vor allem mit den Schweizer Touristen“, lacht Sepp in Anspielung auf die Verwandtschaft seiner Frau. „Da ist der Wallberg noch immer das Highlight. Wenn sie oben stehen, auf den See hinabschauen und bis nach München sehen können, da sind selbst unsere Schweizer schwer beeindruckt.“
Wie nähert man sich dem Wallberg am besten? Für Sissi Pärsch war das keine lange Überlegung: über die Menschen, die dort leben, arbeiten, ihre Freizeit verbringen. Dass man bei der Geschichte des „Voitlhofs“ auch noch auf ein Stück Heimatgeschichte und Gastronomie stößt, hat die ganze Sache gleich noch ein Stück interessanter gemacht.
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